Bahnhofsmission in Würzburg registriert wachsende Zahl von psychisch erkrankten Wohnungslosen
Nein, er hätte jetzt ganz sicher nichts gegen eine Tasse Tee einzuwenden. Und auch das Brot nimmt der Mann gerne. Johanna Anken, Sozialarbeiterin in der Würzburger Bahnhofsmission, reicht ihm beides. Und fragt: „Wie geht es Ihnen?“ Der Mann zuckt die Achseln und schaut kurz hoch. Wie soll es ihm schon gehen. Seit drei Jahren schläft er auf der Straße. Er leidet an schweren Depressionen. Die sich durch die aktuellen Krisenzeiten tendenziell eher verschlechtern als verbessern.
Jeder Mensch erlebt hin und wieder mal einen Flop in seinem Leben. Oder gar ganze Phasen, wo irgendwie alles schiefläuft. Bei jenen Menschen hingegen, mit denen es Johanna Anken zu tun hat, dominiert das Negative im Leben gewaltig das wenige Schöne und Gute: „Unsere Besucher haben oft harte Lebensschicksale.“ Der Mann zum Beispiel, dem sie soeben einen Tee gereicht hat, verlor vier Familienmitglieder: „Sie starben zufällig kurz hintereinander.“ Zu allem Übel musste der Mann dann auch noch aus seiner Wohnung. Seit 2018 schläft er draußen: „Und zwar jede Nacht im Sitzen, weil er Angst hat, überfallen zu werden.“
Lange Zeit der Pandemie hinterlässt ihre Spuren
Bis die Menschen von sich erzählen, dauert oft eine ganze Weile. Öffnen sich die Besucher, berichten sie meist von einem Bündel an Problemen. Wobei nicht jede objektiv vorhandene Schwierigkeit auch von den Klienten als Problem identifiziert wird. So nimmt die Zahl der psychisch kranken Wohnungslosen deutlich zu. Die lange Zeit der Pandemie hinterlässt hier ihre Spuren. Und häufig fehlt die Krankheitseinsicht, was die Arbeit mit ihnen erschwert. „Einige Besucher fühlen sich zum Beispiel verfolgt“, schildert Johanna Anken. Vor kurzem erst verabschiedete sie eine Frau, die in der Bahnhofsmission in Würzburg übernachtet hatte. Sie ging mit Sommerschuhen aus der Einrichtung fort. Ihre eigenen Winterschuhe konnte sie nicht mehr anziehen, nachdem sie gesehen hatte, dass ein Schatten darauf gefallen war.
Unter den Besuchern gibt es Menschen, die hie und da zur Bahnhofsmission kommen. Und Männer und Frauen, die das Angebot der Würzburger Christophorus-Gesellschaft tagtäglich in Anspruch nehmen. Und das seit Jahren. Wie im Falle des Mannes, der seit 2018 Nacht für Nacht draußen im Sitzen schläft. Dieser Mann ist inzwischen im Rentenalter. Eigentlich müsste er dringend von der Straße weg. „Wir würden ihn gern ins Johann-Weber-Haus vermitteln“, sagt Johanna Anken. Oder ihn zumindest einmal dazu bringen, sich das Obdachlosenheim in der Sedanstraße anzuschauen: „Doch immer, wenn es konkret wird, springt er ab.“ Viel lieber hätte er eine eigene Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag. Das hat auch etwas mit Würde zu tun.
„Immer mehr Menschen schlafen in Eingängen von Geschäften“
Für das Team der Bahnhofsmission heißt es, viel Zeit zu investieren, um Brücken hinein ins „normale“ Leben zu schlagen. Doch diese Zeit nehmen sich die Haupt- und Ehrenamtlichen um Einrichtungsleiter Michael Lindner-Jung gern. Dass die soziale Not wächst, ist laut Lindner-Jung inzwischen in Würzburg deutlich zu sehen: „Immer mehr Menschen schlafen in Eingängen von Geschäften, so etwas gab es vor einigen Jahren noch nicht.“ Etliche seien frustriert und durch die lange Krisenzeit zermürbt.
Das Team der Bahnhofsmission in Würzburg könnte sich gut vorstellen, dass die soziale Not noch weiter wächst. Und das bereitet zunehmend Sorgen. Soziale Einrichtungen kosten Geld und das wird momentan immer knapper. „Doch es wäre höchst ungut, wenn wir nun noch weniger in die sozialen Strukturen investieren würden“, sagt Johanna Anken. Das wäre in den Augen der Sozialarbeiterin deshalb so bedenklich, weil die Schere zwischen Arm und Reich immer krasser auseinandergeht.
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