In der Mitte der Stadt, in der Spiegelstraße, steht nun der zweite Würzburger Koffer, identisches Gegenstück zum Koffer am Denkort Deportationen am Hauptbahnhof. Gefasst in Stein lässt das Gepäckstück durch eine Plexiglasmitte einen Blick auf seinen Inhalt frei: Kuscheltier, Zahnbürste, Pfennig und Tagebuch geben Aufschluss über seinen Besitzer, der der 12 Jahre alte Herbert Mai gewesen sein könnte.
Mai führte Tagebuch, als er am 27. November 1941 mit seiner Familie von eben diesem Ort deportiert wurde, dem Standort der ehemaligen Schrannenhalle, wo heute das Mainfranken Theater steht. Mitten in der Nacht wurden 202 Jüdinnen und Juden bei dieser ersten Deportation in Würzburg aus ihren Leben gerissen, mit gerade mal dem Nötigsten in ihren Koffern, um am 29. November nach Riga deportiert zu werden – ohne ihre Gepäckstücke.
Diese Reise in den Tod überlebten nur 16 Menschen, darunter der Junge Herbert Mai. Seine Geschichte gab Schülerinnen und Schülern des Matthias-Grünewald-Gymnasiums, Stipendiaten der Roland-Berger-Stiftung, den Impuls zur Gestaltung des Koffers, dessen Griff aus Stacheldraht das immense Leid der Menschen symbolisieren soll.
Wie der Denkort Deportationen am Würzburger Hauptbahnhof hebt auch dieser Koffer eigenständig die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf.
„Wir müssen aufstehen, wenn das Dunkle wieder kommt“
Christian Schuchardt, Oberbürgermeister
Oberbürgermeister Christian Schuchardt bezeichnete bei der Aufstellung dieses Kunstwerks den DenkOrt Deportationen als „Knotenpunkt eines Unterfranken überspannenden Netzes.“ Der DenkOrt sei als wachsendes Denkmal konzipiert und nicht statisch, aktuell stehen dort Gepäckstücke von 47 Kommunen, es sollen weitere dazu kommen. „Ich bin stolz auf dieses bürgerschaftliche Engagement, denn wir müssen aufstehen, wenn das Dunkle wieder kommt. Mit den Worten von Max Mannheimer: Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschehen ist. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon“, fügte Schuchardt hinzu.
„Wir gehören dazu und das wird so bleiben“
Marat Gerchikov, stellvertretender Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken
Marat Gerchikov, stellvertretender Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, betonte bei der Feierstunde, dass nur wenige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger den Massenmord überlebten. „Der Holocaust begann genau an solchen Orten. Aber 75 Jahre nach Ende der Schoa stellen wir fest, dass es wieder jüdisches Leben in Würzburg und in Deutschland gibt. Wir sind ein anerkannter Teil der Gesellschaft und es ist den Nazis nicht gelungen, das Judentum zu vernichten. Wir sind da, wir gehören dazu und das wird so bleiben.“
Der alte Sündenbock ist wieder da
Dennoch sei ein „unerträglich steigender Antisemitismus in den vergangenen Jahren“ zu beobachten. „Der alte Sündenbock ist wieder da und Zielscheibe für Anschläge und Hass.“ Keiner dürfe wegsehen, so Gerchikov, denn „dies betrifft uns alle.“
Der DenkOrt Deportationen am Hauptbahnhof erinnert mit Gepäckstücken aus allen jüdischen Gemeinden Würzburgs und des Umlandes an die Deportation von 2.069 Jüdinnen und Juden Unterfrankens zwischen November 1941 und Dezember 1944. Jede ehemals jüdische Gemeinde stellt dafür die Skulptur eines Gepäckstücks zur Verfügung. Das identische Zwillingsstück – und damit ein kleiner DenkOrt – findet sich in der Gemeinde selbst. In Würzburg stehen außer dem DenkOrt am Hauptbahnhof zwei weitere Koffer, einer in der Spiegelstraße in Nähe der ehemaligen Schrannenhalle und einer in Heidingsfeld, da der Stadtteil zur Zeit der Naziverbrechen eine eigenständige Gemeinde war.