Wer die Umweltstation betritt, wähnt sich fast im Freien. Herz des ovalen Gebäudes ist eine Langblättrige Birkenfeige mit Namen „Amstel King“, um sie herum schiebt sich eine freischwebende Treppe in den ersten Stock. Zenitales Licht erhellt den Eingangsbereich und aus dem großen Veranstaltungsraum im ersten Stock zirpen Grillen. In den Terrarien dort leben Insekten und Schlangen, tiergerecht gehaltene Anschauungsbeispiele der Umwelterlebniswoche. Seit 30 Jahren finden in der Umweltstation Beratungen rund um Abfall, Natur und Umwelt statt. Seit 30 Jahren gilt sie als bayerische Vorzeigeeinrichtung der Umweltbildung und gab 58 weiteren, staatlich anerkannten Umweltstationen in Bayern ihren Namen. Das Würzburger Konzept wurde zum Zertifikat.
1990 gegründet, sollte die Umweltstation zunächst nur ein fester Standort sein, bei dem sich die Besucher der Landesgartenschau am Fuße der Bastion Prospekte und Informationen mitnehmen konnten. „Wir wollten aber mehr als das Umweltministerium, wir wollten aktiv werden“, blickt Anja Knieper, die Leiterin der Umweltstation, zurück. „Wir“, das städtische Umweltamt und die Didaktik Geographie der Julius-Maximilians-Universität, „wollten Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Wissenswertes rund um die Natur und die Umwelt anbieten.“
Dieses Konzept von Stadt, Universität und bayerischem Umweltministerium war neu, denn Umweltbildung hatte bis dahin nur vereinzelt in Schulen stattgefunden. Ein Wagnis war es nicht, die Zeit war reif und das Konzept schlug ein wie eine Bombe. Ein umweltpolitisches Umdenken hatte eingesetzt und mit besseren Abfallkonzepten und der Pflicht, kommunale Abfallberater einzustellen, wurden die MitarbeiterInnen der Umweltstation bei den Stadtreinigern angesiedelt, zu denen sie heute noch gehören. Das Konzept entwickelt hatte der damalige Umweltreferent der Stadt Würzburg, Dr. Matthias Thoma. Damals wie heute ist die Umweltstation ein Zentrum für Abfall-, Energie- und Umweltberatung sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Aufgaben ihrer MitarbeiterInnen sind Umweltbildung, Abfall- und Energieberatung, die Koordinationsarbeit der Lokalen Agenda 21. 2019 kam ein weiterer Kompetenzbereich hinzu, das Energie- und Klimazentrum.
„Was kann ich gegen den Klimawandel tun?“
Waren die ersten Fragen, die die Abfallberater beantworten mussten, noch den neuen Abfalltonnen geschuldet („Was kommt in welche Tonne?“), sind die Fragen heute globaler („Was kann ich gegen den Klimawandel tun? Wie kann ich mich engagieren?“). Außerdem ist die Umweltstation Anlaufstelle für Zugezogene, die Kontakt oder ein Ehrenamt suchen, wie Stadtgärtner e.V.. „Sie betreuen beispielsweise die Hochbeete, die vom LGS-Gelände am Hubland auf das Gelände der Umweltstation umgezogen sind“, berichtet Anja Knieper.
Absolutes wiederkehrendes Highlight seit 1991 ist die jährliche Umwelterlebniswoche im Juli, finanziert vom Umweltministerium. An sieben Tagen lernen 2.500 bis 3.000 Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersgruppen und Schularten auf dem großzügigen Freigelände Insekten und Spinnen, Greifvögel, Waldtiere und heimische Fische kennen, bearbeiten Wolle, Filz, Steine und Holz und staunen darüber, wie Honig entsteht. Mittlerweile dürften mehrere zehntausend Kinder so spielerisch für Flora und Fauna und die Zusammenhänge von Umwelt und Natur sensibilisiert worden sein, willkommen sind aber auch Erwachsene. Erleben mit allen Sinnen, Lernen für das Leben und die Umwelt respektieren, sind Prinzip und Sinn der Umwelterlebniswoche. Auch für die Freiberuflichen, die die Aktionen in der Umweltstation anbieten, ist diese Woche ein Erlebnis: „Sie finden sich zu fachlichem Austausch zusammen, vernetzen sich und entwickeln Ideen für gemeinsame Projekte“, erklärt Susanne Jantschke, die Agenda21-Koordinatorin der Umweltstation.
Nach Corona gibt es wieder Workshops
Müllsammelaktionen, der Tag der Biodiversität, der Tag des Baumes, die Europäische Mobilitätswoche, Stadtradeln, Bienenkinder, Bayern Tour Natur, Althandysammlung, Initiative Freies Lastenrad, das Repair Café, der Fair Fashion Day, Fledermausprojekt, Wanderbäume, Klimamarkt und Synergiefestival, Aktion Biotonne, Pilzberatung, Plogging am Mainufer: Die Aktionen der Umweltstation sind zahlreich, bekannt und beliebt.
Mit Einzug in das neue Gebäude können zusätzlich Indoor-Umweltveranstaltungen angeboten werden, nach Coronazeiten werden dort wieder Workshops stattfinden können. Neben Infomaterial zur richtigen Abfalltrennung, Recycling und Abfallgebühren stehen Bildungsmaterialien, Energiemessgeräte, GPS-Geräte sowie Fledermaus-Exkursionsrucksäcke für eine kostenlose Ausleihe zur Verfügung. Der Agenda 21-Arbeitskreis Klimaschutz führt 14-tägig gratis Energieberatungen für private Bauherren, Sanierer und Hauseigentümer durch. „Die Umweltstation leistet auf vielfältige Weise und politisch neutral einen wichtigen Beitrag für einen sozial-ökologischen Wandel hin zu einer zukunftsfähigen Stadtgesellschaft“, befindet Werkleiter Wolfgang Kleiner.
Umweltgerecht in die Zukunft
Der 2019 eröffnete Neubau setzt Maßstäbe: Das architektonisch und energetisch zukunftsweisende Gebäude hat Modellcharakter für ökologisch–nachhaltiges Bauen. Der organisch geformte Bau passt sich in die naturnahe Umgebung ein. Zum ersten Mal in Bayern wurde Recyclingbeton im Hochbau verwendet. Technisch anspruchsvoll ist der Einbau einer mit Photovoltaikanlage gekoppelten Eisspeicherheizung.
Unter anderem deshalb wurde der Bau von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz sowie vom Zweckverband Abfallwirtschaft im Raum Würzburg gefördert und wissenschaftlich von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus–Senftenberg und dem Bayerischen Zentrum für angewandte Energieforschung begleitet.
Naturnahe Idylle in der Stadt
Aktuell befindet sich die Umweltstation in einem Förderprogramm der Universität Potsdam, das Gebäude soll umfänglich begrünt werden und die klimatischen Effekte mittels wöchentlicher Temperaturmessungen festgestellt werden. „Der Gartenbauverein Würzburg hat sich aufgelöst und der Umweltstation einen Teil seines Vermögens vermacht, dies wird für die Fassadenbegrünung eingesetzt“, freut sich Anja Knieper über den weiteren Baustein des Gesamtkonzepts „Umweltstation“, von dem auch die Artenvielfalt profitieren wird.
Die Tiere rund um den organisch geformten Bau haben ihn bereits ohne Außenbegrünung in ihren Lebensraum integriert: Eichhörnchen schwingen sich an den Holzpfählen rund um das Gebäude herum und Meisen fahren an den Außenjalousien der Fenster hinab, um sich dort sitzende Insekten zu schnappen – zur Freude aller, die durch die großen Fensterfronten nach außen blicken: Die Umweltstation verbindet Mensch und Umwelt.