Würzburger Stephans-Buchhandlung schließt

„Alles im Leben hat seine Zeit“: Nach fast 60 Jahren hat die Stephans-Buchhandlung in Würzburg am Ostersamstag letztmals geöffnet

Die traditionsreiche Stephans-Buchhandlung im CVJM-Haus in Würzburg schließt. Inhaber Matthias Mittelstädt (68) nennt Gesundheitsprobleme und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Gründe. Nachdem alle Bemühungen um eine Nachfolge erfolglos blieben, hat Mittelstädt rund 2.500 Kunden und Geschäftsfreunde informiert. Vier noch bestehende Arbeitsverhältnisse wurden fristgerecht aufgelöst. Der Räumungsverkauf läuft bis Ostersamstag, 19. April.

Die christliche Buchhandlung zwischen der evangelischen Stephanskirche und der katholischen Michaelskirche in der Stephanstraße wäre im September 60 Jahre alt geworden. Neben ihrem Kernsortiment bietet sie ein ausgesuchtes Angebot an Jugendbüchern und allgemeiner Literatur sowie einen Bestell- und Versandservice an. Ihr Kundenstamm reicht weit über die Region hinaus.

Die Buchhandlung war im September 1965 durch Initiative des Würzburger Unternehmers Hermann Kupsch (1918- 2013) vom Berliner Buchhändler Wolfgang Mittelstädt (1930-1993) eröffnet worden. Beide verband eine langjährige Freundschaft. Kupsch, Würzburger Ehrenbürger, gehörte zu den maßgeblichen Förderern des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in Deutschland. Beim Bau des neuen CVJM-Hauses in seiner Heimatstadt setzte er sich besonders für den geplanten Buchladen ein.

„Wir wollten mehr das Gemeinsame betonen“

Das aus bescheidenen Anfängen entstandene Geschäft wurde von Anfang an zukunftsorientiert betrieben. Neben Büchern gehörten schon früh „Nonbooks“ wie Tonträger, Geschenkartikel und  Medien zum Angebot. Die in den 1960er und -70er Jahren häufiger auftretende konfessionellen Spannungen in der Region versuchte die Buchhandlung mit einem Konzept christlicher Weltoffenheit zu begegnen. „Wir wollten mehr das Gemeinsame betonen, weniger das Trennende“, so Matthias Mittelstädt.

Der Sohn des Geschäftsgründers war nach Studium und Lehre 1983 in die Firma seines Vaters eingetreten. Dabei hatte er eine persönliche Leidenschaft mitgebracht: alternative und mitunter auch umstrittene zeitgenössische christliche Musik. Der von ihm gestartete Versandhandel war zunächst nur für eine kleine Schar Gleichgesinnter gedacht. Mit Kunden in ganz Europa erreichte er bald sechsstellige D-Mark Umsätze. Importe aus USA und Australien sorgten für internationales Flair.

Zukünftiger Weihbischof im Gothic-Metal-Chor

Als Folge entstand das von Würzburg aus weltweit operierende Musik-Label MCM mit Künstlern aus vier Kontinenten. „Unser Herzstück war die kalifornische Gothic-Metal-Band Saviour Machine“, so der Stephans-Buchhändler im Rückblick. „Auf einer Produktion dieser Kultband wirkte auch der Student Paul Reder, heute Würzburger Weihbischof, im Background-Chor mit“.

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Abschied von der Stephans-Buchhandlung: Mitarbeiter Steffen Winkler ist selbst seit 30 Jahren dabei.

Kurz vor dem Tod seines Vaters übernahm 1993 Matthias Mittelstädt die vollständige Geschäftsleitung. Um für die Einführung des neuen Evangelischen Gesangbuchs in Bayern gerüstet zu sein, wurde 1994 die Stephans-Buchhandlung in Würzburg komplett umgebaut. Die Nachfrage war so gewaltig, dass es immer wieder zu Lieferengpässen kam. Schnell war Mittelstädt klar, dass das neue Gesangbuch in Bayern identisch mit dem aus Thüringen war.  Mit Hilfe eines Kollegen in Weimar fand er eine Möglichkeit, Vertriebsbeschränkungen zu überwinden, palettenweise Gesangbücher aus Thüringen zu beziehen und rechtzeitig vor Weihnachten auszuliefern. 15.000 Exemplare verkaufte er damals in vier Monaten.

„Gesangbuchkönig aus Bayern“

Noch viele Jahre später porträtierte das Fachmagazin „RockHard“ in einem Special über die christliche White-Metal-Szene Matthias Mittelstädt als den „Gesangbuchkönig aus Bayern“, der dem Genre „White Metal“ bundesweit mit zum Durchbruch verholfen habe.

Zu den Anekdoten der Firmengeschichte gehört auch die Auseinandersetzung mit einer wirtschaftlich weitverzweigten unterfränkischen Sekte, die als äußerst prozessfreudig galt. Als die Buchhandlung 1995 ein im Pattloch-Verlag erschienenes kritisches Buch über diese Organisation in ihr Sortiment aufnahm, erhielt sie umgehend eine Unterlassungserklärung. Mittelstädt lehnte damals im Gegensatz zu anderen Würzburger Buchhändlern ab und nahm den Ärger in Kauf.

„Bald danach tauchte bei uns zweimal der Gerichtsvollzieher mit einer Einstweiligen Verfügung auf“ berichtet er. „Für eine Buchhandlung ziemlich ungewöhnlich“. Beim ersten Mal lief Verfügung ins Leere, weil die Auflage bereits verkauft war. Beim zweiten Mal wurden die von der Sekte monierten Stellen zwar wie gefordert penibel geschwärzt, aber jeder Käufer des Buchs erhielt von der Buchhandlung eine Kopie des Gerichtsbeschlusses. Dort war der Wortlaut der geschwärzten Stellen genau aufgeführt. Der kleine Trick verhalf der Würzburger Buchhandlung zu überregionaler Publicity.

„Es waren bewegende Jahre “ zog Matthias Mittelstädt Bilanz „aber sie haben auch ihre Spuren hinterlassen“. Für Freunde und Kunden seiner Buchhandlung hält er eine alte biblische Weisheit bereit: Alles im Leben hat seine Zeit.

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