Hochschulpraktikum im Johann-Weber-Haus der Christophorus-Gesellschaft
Die Studierenden Nils Grießenauer und Anna Vujcic absolvieren momentan ein Praktikum im Würzburger Johann-Weber-Haus der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft, das Wohnungslosen und Strafentlassenen Sozialtherapie anbietet. Im Praktikum können Studierende der sozialen Arbeit ein Semester üben, was sie zuvor zwei Jahre lang theoretisch gelernt haben.
„Im Studium haben wir gelernt, dass jedes Verhalten seinen Ursprung hat“, sagt Grießenauer. In der praktischen Arbeit im Johann-Weber-Haus finde er diesen Lehrsatz bestätigt. Er lerne Bewohner kennen, die nicht das Glück gehabt hatten, in einer intakten Familie groß zu werden. Viele hätten Eltern gehabt, die mit tausend Problemen kämpfen mussten. Geldnot, Gewalt, psychische Krankheiten oder Sucht prägten das Familienleben.
Johann-Weber-Haus: Schicksale, die unter die Haut gehen
„Manchmal kommt mir das, was ich von unseren Bewohnern aus dem Johann-Weber-Haus höre, wie aus einem Film vor“, beschreibt Grießenauer. Der 25-Jährige lerne im Praktikum Welten kennen, die er sich bislang kaum vorstellen konnte. „Ich dachte immer, Alkoholismus sei der Hauptgrund für Wohnungslosigkeit“, sagt Grießenauer. Er hätte nicht gedacht, dass so viele Bewohner mit einer psychiatrischen Diagnose im Johann-Weber-Haus leben.
„Obwohl wir heftige Geschichten zu hören bekommen, gab es bisher noch nichts, was mich wirklich umgehauen hätte“, sagt Vujcic. Dennoch gingen die Geschichten und Biografien der Bewohner der 21-Jährigen unter die Haut: „Einige Bewohner haben zum Beispiel erzählt, dass sie wegen ihrer psychischen Erkrankungen gleich mehrere Medikamente nehmen müssen“, erzählt die Studentin. Manche hätten dadurch einen richtig leeren Blick gehabt.
Durch ADHS auf die schiefe Bahn
Ein weiteres Thema war für Grießenauer und Vujcic, wie verhängnisvoll sich die Erkrankung ADHS auswirken kann. Sie hätten nicht gedacht, dass viele Menschen durch ADHS auf die schiefe Bahn geraten. „Weiter überrascht hat mich, dass viele unserer Bewohner älter sind“, ergänzt Vujcic. Wenn sie durch die Straßen Würzburgs gehe, sehe sie eher jüngere Menschen am Straßenrand sitzen und betteln. Nun erlebe sie, wie viele Senioren keinen festen Wohnsitz haben.
Ex-Häftlinge und Obdachlose zählten nicht zu jener Gruppe benachteiligter Menschen, für die öfter eine Benefizveranstaltung oder eine Spendenaktion organisiert wird. Ihre Lobby ist gering. Von daher gehöre etwas dazu, sich für diese Menschen zu interessieren. Vujcic findet es seit langem spannend, sich mit der Lebensgeschichte von Strafentlassenen auseinanderzusetzen. Auch beruflich habe sie schon immer etwas mit Menschen machen wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, finde sie sich in ihrem Studiengang gut aufgehoben. Auch über ihre Praktikumsstelle sei sie glücklich. Denn durch die Christophorus-Gesellschaft könne sie auch in weitere Einrichtungen, hineinschnuppern –zum Beispiel die Bahnhofsmission oder die Wärmestube.
Beruflich etwas Sinnstiftendes tun
Bevor Grießenauer soziale Arbeit zu studieren begann, sammelte er Erfahrungen in der freien Wirtschaft: „Ich habe Fachlagerist gelernt.“ Schnell sei ihm jedoch klar geworden, dass ihn dieser Job auf Dauer nicht glücklich machen würde. Er wollte beruflich etwas Sinnstiftendes tun und etwas, dass Abwechslung bietet. Die Entscheidung, soziale Arbeit zu studieren, habe sich dafür bisher als richtig herausgestellt. Auch das Praktikum im Johann-Weber-Haus bestätige das. Abwechslungsreich sei die Arbeit dort auf jeden Fall: „Jeden Tag passiert etwas Neues.“ (POW)
- Zahl der psychisch erkrankten Wohnungslosen nimmt zu. Mehr dazu hier.