Es könnte der tägliche Lichtblick für ältere Menschen werden: Am 17. März startete das Würzburger Internetcafé „Von Senioren für Senioren“ einen Virtuellen Stammtisch, zu dem sich seither alle Ruheständler, aber auch andere Interessierte, zuschalten können. An jedem Tag wird von 14 bis ca. 15:30 Uhr miteinander kommuniziert und diskutiert. Wobei Initiator und Moderator Herbert Schmidt den Stammtisch oft auch zu anderen Zeiten offen hat: „Damit keine Anmeldung ins Leere läuft.“
Der Ingenieur im Ruhestand ist sehr kreativ. Vor genau 20 Jahren gründete der heute 82-Jährige das Internetcafé „Von Senioren für Senioren“. Seitdem hat er in und rund um diesen Treff eine ganze Reihe von Projekten und Initiativen gestartet. Als klar war, dass das Corona-Virus das öffentliche Leben bald fast völlig lahmlegen würde, begannen seine kleinen grauen Zellen, sofort zu arbeiten: „Am 16. März hatten wir die Idee für den Virtuellen Stammtisch, schon einen Tag später ging er an den Start.“ Das Projekt basiert technisch auf einer Webkonferenzsoftware, wie sie in der Industrie schon lange üblich ist: „Wir vom Internetcafé hatten sie bereits bei Weiterbildungen genutzt.“
„Immer schwieriger, den Tag zu verbringen“
Für viele Menschen wird das Maß bald voll sein: Die Geduld, noch länger in den eigenen vier Wänden „gefangen“ zu sein, wird zunehmend schwinden. „Es wird immer schwieriger werden, den Tag zu verbringen“, bestätigt Schmidt. Nur vor dem Fernseher zu sitzen, sei höchst unbefriedigend: „Irgendwann fragt man sich, ob das der Sinn des Lebens ist.“ Senioren, die zu Hause einen PC, ein Laptop oder ein Smartphone mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher haben, fordert er auf, dem Virtuellen Stammtisch beizutreten. Sollte es mit dem Zugang auf Anhieb nicht klappen, gibt Schmidt gern telefonisch Hilfestellung.
Das Internetcafé, das am 7. April eigentlich sein 20. Jubiläum feiern wollte, was nun ins Wasser gefallen ist, möchte einen Betrag leisten, um die Vereinsamung der Älteren etwas zu reduzieren. Durch den Virtuellen Stammtisch können Senioren täglich ab 14 Uhr über ihren Bildschirm andere Menschen sehen und hören. „Alle Teilnehmer sind füreinander sichtbar“, erklärt Schmidt. Nicht gern gesehen sei, wenn sich jemand nur per Ton und dann auch noch anonym zuschaltet: „Denn wir möchten offen miteinander kommunizieren.“ Jeder soll sagen können, was ihm gerade auf dem Herzen liegt. Ängste und Sorgen wegen der Corona-Krise dürfen ausgedrückt werden.
Auch darf man äußern, dass man die Nase gestrichen voll davon hat, alleine zu Hause zu hocken. Man kann andere fragen, wie sie den Tag strukturieren und welche Ideen sie haben, die Zeit zu verbringen. Panikmache zu betreiben, ist laut Schmidt hingegen tabu: „Passiert so etwas, machen wir von unserem Hausrecht Gebrauch.“ Dann fliegt der Störenfried aus dem Virtuellen Raum. Schmidt, der vor Jahren einmal einen Chat mit mehreren Tausend Teilnehmern moderierte, hat jedoch keine Bedenken, dass dies passiert. „Wir sehen den Stammtisch absolut positiv“, sagt er, wobei er mit „wir“ sich sowie die Vorsitzenden des Internetcafés, Peter Wisshofer und Dieter Zellhöfer, meint.
„98 Prozent des Internets ist positiv“
Senioren, die sich bisher nicht sehr für das Internet interessiert haben, sind aktuell im Nachteil, meint Schmidt, dessen Credo lautet: „98 Prozent des Internets ist positiv.“ Natürlich sind im weltweiten Netz Betrüger zugange. Natürlich muss man mit seinen Daten vorsichtig sein. Doch die Vorteile überwiegen bei weitem, so der Internetfan – und zwar vor allem für Senioren. Gerade in diesen Tagen, wo ältere Menschen so wenig wie möglich aus dem Haus gehen sollen, ist es ein Segen, Bankgeschäfte online abwickeln zu können. Oder Dinge, die man braucht, über das Internet zu bestellen.
Sollte der Stammtisch rasch wachsen, werden die Mitglieder in Gruppen organisiert, kündigt Schmidt an: „Die können wir dann unter bestimmte Themen stellen.“ Doch das ist noch Zukunftsmusik, denn aktuell tummeln sich meist höchstens ein Dutzend Menschen gleichzeitig am Stammtisch. Neben „normalen“ Senioren nehmen derzeit auch Vertreter von Organisationen teil, die wissen möchten, wie die Würzburger Initiative funktioniert, um ein ähnliches Projekt eventuell auch an anderen Orten anzubieten.
Schmidt hofft, dass Senioren das Internet durch die Krise als neues Hobby für sich entdecken, sollten sie sich bisher noch ablehnend verhalten haben. Sich basale Kenntnisse anzueignen, sei überhaupt nicht schwer. Meist dauere es höchstens drei Wochen, und ein bis dahin völlig unbeleckter älterer Mensch sei imstande, eine Mail zu schreiben und sie wegzuschicken, Mails zu lesen, Anhänge zu öffnen und sie auf der Festplatte zu sichern. Die These, dass Menschen mit 80+ nichts mehr völlig Neues erlernen können, sieht Schmidt als absurd an. 20 Jahre Internetcafé „Von Senioren für Senioren“ beweisen das Gegenteil.
So können Sie beim Stammtisch dabei sein
Zum Virtuellen Stammtisch kommt man, indem man im Browser folgende Adresse eingibt: https://t1p.de/vs
Zunächst folgt die Aufforderung, eine App herunterzuladen, alle weiteren Schritte werden danach erklärt. Wer Hilfe braucht, kann sich an Herbert Schmidt wenden: 0171-26 76 908.
Das Angebot ist ehrenamtlich und kostenfrei.