Neue Namen für Straßen mit Nazi-Paten: Würzburg arbeitet die Zeit des Nationalsozialismus weiter auf – jetzt hat die Kommission zur Überprüfung der Straßennamen empfohlen, vier Straßen umzubenennen.
Die Stadtverwaltung hat in der Sitzung des Stadtrates am 10. Dezember den Abschlussbericht der Würzburger Kommission zur Überprüfung der Straßennamen zur Beratung vorgelegt. Vor gut fünf Jahren hatte der Würzburger Stadtrat die Einsetzung einer Fachkommission beschlossen. Die sollte die Benennung von Straßen nach Personen untersuchen, „deren aktive Lebensphase in die NS-Zeit fällt und von denen anzunehmen ist, dass sie sich in dieser Zeit diskreditierende Handlungen zuschulden kommen ließen“. Deren Verhalten sollte unter Berücksichtigung von Verdiensten und Verfehlungen neu bewertet und eine Empfehlung zum Umgang mit diesen Ehrungen abgegeben werden. Jetzt hat die Kommission empfohlen, vier Straßen neu zu benennen.
Entsprechende Untersuchungen fanden zuvor bereits in anderen deutschen Städten, etwa in Freiburg, Münster oder Oldenburg, statt und stießen dort auf ein großes öffentliches Interesse.
Aufarbeitung der Würzburger NS-Zeit
Die Stadt Würzburg will mit der Überprüfung der Straßennamen nicht nur die städtische Geschichte während der NS-Zeit aufarbeiten, sondern auch den späteren Umgang mit den entsprechenden Personen. Diese Aufarbeitung, so heißt es aus dem Rathaus, sei der Stadt nicht zuletzt auch wichtig, „da heute immer unverblümter gewisse politische Strömungen die Bedeutung eines mahnenden Erinnerns an die NS-Zeit sowie die Notwendigkeit, aus den bedrückenden Geschehnissen dieser zwölf Jahre zu lernen, mehr und mehr zu relativieren versuchen.“
Mitglieder der Kommission waren der städtische Kulturreferent als Vorsitzender (bis Anfang 2018 Muchtar Al Ghusain, danach Achim Könneke), der Leiter des Stadtarchivs Dr. Axel Metz, der Heimatpfleger der Stadt Dr. Hans Steidle, vier Vertreter der Wissenschaft (Dr. Ingrid Heeg-Engelhardt bis 2017, danach Dr. Hannah Hien vom Staatsarchiv Würzburg, Prof. Dr. Peter Hoeres von der Universität Würzburg, Dr. Bettina Keß vom Kulturplan Würzburg und Dr. Niels Weise, Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin) sowie vier Mitglieder des Stadtrats: Willi Dürrnagel, Heinrich Jüstel, Benita Stolz und Jürgen Weber.
128 Straßennamen auf dem Prüfstand
Am 20. Juni 2016 traf sich die Kommission zu ihrer konstituierenden Sitzung. Insgesamt trat sie 17 Mal zusammen. Die Kommission beschäftigte sich hierbei 120 Straßennamen, deren Patinnen und Paten vor 1928 geboren wurden und die zwischen 1933 und 1945 gelebt haben. Weitere acht Straßennamen, die seit 2016 benannt wurden, wurden zusätzlich untersucht.
30 dieser Straßen sind offensichtlich nach erklärten Gegnern oder/und Opfern des NS-Regimes benannt, so etwa die Geschwister Scholl, Herta Mannheimer oder Kurt Schuhmacher. Diese Straßennamen wurden keiner detaillierten Forschung unterzogen. Für jede der übrigen 92 Straßennamen wurde in einem ersten Arbeitsschritt nach einem festgelegten Raster durch Beschäftigte des Stadtarchivs, von Mitgliedern der Kommission und von zusätzlichen externen Fachkräften grundsätzliche biographische Informationen recherchiert. Dadurch wurde ermittelt, ob und in welchen Kontexten überhaupt eine NS-Belastung bestehen könnte. Nach Auswertung dieser Biogramme und vielfach erforderlichen weiteren Quellenforschungen in diversen Archiven konnte die Kommission nach intensiven Beratungen den Kreis der womöglich oder offensichtlich problematischen Biographien auf eine niedrige zweistelligen Zahl eingrenzen. Seit 2016 wurden weitere acht Straßen benannt, von denen sechs nach Gegnern oder Opfern des Nationalsozialismus benannt wurden, zwei wurden von der Kommission zusätzlich genauer überprüft.
Intensiv hat die Kommission vor Eintritt in die Einzelbewertungen über die zentrale Herausforderung beraten, anhand welcher Maßstäbe heute eine gerechte bzw. politisch und historisch verantwortbare Bewertung von Biographien damaliger Zeitgenossen vorgenommen werden kann und sollte, die neben Verfehlungen auch Verdienste aufzuweisen hatten. Unter Berücksichtigung der historischen Hintergründe hat sich die Kommission schließlich dafür entschieden, „reines Mitläufertum“ als nicht ausreichend für eine besondere Empfehlung anzusehen. Ein solches Mitläufertum sieht sie bei jenen Personen als gegeben an, die das NS-Regime durch ihr Handeln gestützt haben, ohne in besonderer Weise aktiv in Erscheinung zu treten oder an Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein.
Erhebliche Belastung von Straßen-Paten
Hingegen wurden die Beteiligung am NS-Repressionsapparat oder Zuträgerdienste für diesen von der Kommission als erhebliche Belastung gewertet. Ebenfalls negativ gewertet wurde es, wenn Personen aktiv die Nazi-Herrschaft stützten und als Profiteure des Nationalsozialismus in Erscheinung traten – in diesen Fällen ist die Stadt Würzburg aufgerufen, den Straßen neue Namen zu geben.
Schließlich gab die Kommission jeweils nach intensiver Prüfung in neun Fällen besondere Empfehlungen (Umbenennung, Kontextualisierung, öffentliche Diskussionsveranstaltung) ab.
Eine Umbenennung empfiehlt sie in folgenden Fällen:
- Heiner-Dikreiter-Weg (Sanderau)
- Nikolaus-Fey-Straße (Heidingsfeld)
- Schadewitzstraße (Frauenland)
- Hermann-Zilcher-Straße (Frauenland).
Für eine Kontextualisierung des Straßennamens durch die Bereitstellung ausführlicher Informationen in elektronischen Medien (mit entsprechenden Hinweisen am Straßenschild) spricht sich die Kommission im Falle folgender Straßen aus:
- Armin-Knab-Straße (Frauenland)
- Peter-Schneider-Straße (Frauenland)
- Richard-Strauss-Straße (Frauenland).
Im Falle des Karl-Ritter-von-Frisch-Wegs (Frauenland) empfiehlt die Kommission eine Umbenennung oder Kontextualisierung. Da es sich um einen öffentlich nicht gewidmeten Weg im Eigentum des Freistaats Bayern handelt, muss hier vor Umsetzung einer solchen Maßnahme das Einverständnis des Eigentümers eingeholt werden.
Schließlich spricht sich die Kommission im Falle des Kardinal-Faulhaber-Platzes (Altstadt) für eine öffentliche städtische Diskussionsveranstaltung hochrangiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über das Verhalten des Namenspaten in der NS-Zeit aus, in deren Anschluss der Stadtrat darüber entscheiden kann, ob eine Kontextualisierung bzw. eine Umbenennung des Platzes vorgenommen werden soll.
Infoveranstaltungen im nächsten Jahr
Voraussichtlich im Februar wird der Stadtrat einen Grundsatzbeschluss zu den empfohlenen Umbenennungen und Kontextualisierungen beraten und fassen. Die Öffentlichkeit soll durch zwei Infoveranstaltungen im Sommer/Herbst 2021 eingebunden werden. Eine Veranstaltung dient hierbei insbesondere auch der Information aller betroffenen Anwohner. Zudem ist die Anhörung von Experten zu Kardinal Faulhaber geplant.