„So einen Einsatz hakt man nicht einfach ab“

Manuel Schmitt, Organisatorischer Einsatzleiter bei den Maltesern. Foto Würzburg (POW)

Malteser-Einsatzleiter Manuel Schmitt berichtet über die erneute Messerattacke in der Innenstadt von Würzburg

Seit 20 Jahren ist Manuel Schmitt bei den Maltesern. Bei der jüngsten Messerattacke am Sonntagmorgen, 17. September, vor der Diskothek „Studio“ in der Würzburger Innenstadt, bei der ein Mann ums Leben gekommen ist, war Schmitt als Organisatorischer Einsatzleiter vor Ort. Im Interview berichtet er vom Einsatz, den Parallelen zur Messerattacke am Barbarossaplatz vor zwei Jahren sowie über die Psychosoziale Notfallversorgung, die Betroffenen und Einsatzkräften seelische Unterstützung bietet.

Herr Schmitt, wie wurden sie am Sonntagmorgen alarmiert?

Manuel Schmitt: Morgens kurz nach vier Uhr hat mein Melder gepiept. Die Alarmdurchsage lautete „Ärger“. Im Rettungsdienst ist es das Stichwort für Messerstechereien, Schusswaffengebrauch oder Schlägereien. Als ich im Wagen saß, kam über Funk „Messerstecherei vor der Diskothek Studio“.

Vor zwei Jahren erstach ein 32-jähriger Mann drei Frauen mit dem Messer am Barbarossaplatz. Viele weitere wurden schwer verletzt. Man bekommt schnell den Eindruck, Würzburg ist gebeutelt.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir ein kleiner Magnetpunkt sind. Das Axtattentat in Würzburg-Heidingsfeld, der jüngste Vorfall in Lohr am Main. Diese Extremeinsätze im Leitstellenbereich Würzburg sind schon häufiger geworden. Vor zwei Jahren war ich auch beim Einsatz am Barbarossaplatz beteiligt, zwar nicht an vorderster Front, aber ich kann mich noch gut erinnern. Deshalb habe ich gleich Parallelen gezogen. Schon wieder die gleiche Stelle in der Nähe von Stift Haug. Was ist diesmal los? Ist das eine Streiterei oder eine Amok-Lage? Davon hängt maßgeblich ab, wie wir weiter vorgehen. Diesmal war schnell klar, dass es sich um eine Streiterei zwischen vier jungen Männern handelt. Da der Messerstecher abgehauen ist, war die Wahrscheinlichkeit nicht groß, dass er weitere Menschen verletzen wird.

Wie ist der Einsatz abgelaufen?

Die Polizei bestätigte mir zügig, dass die Einsatzstelle sicher ist und wir den Ort direkt anfahren können. Auch war schnell klar, dass wir weitere Einsatzkräfte nachfordern müssen. In dem Fall rücken sogenannte Schnell-Einsatz-Gruppen nach. Das sind ausgebildete ehrenamtliche Einheiten, die aus ihrer Freizeit alarmiert werden, um den öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst zu unterstützen. Sie haben verschiedene Schwerpunkte, zum Beispiel Transport, Betreuung und Verpflegung für längere Einsätze, vergleichbar mit der Freiwilligen Feuerwehr.

Beschreiben Sie die Situation vor der Diskothek bei der Ankunft.

Am Anfang war die Lage völlig unübersichtlich. Viele junge Menschen sind umhergelaufen, waren aufgewühlt und haben geweint. Bei drei Schwerverletzten können wir uns aber nicht um jeden kümmern, der an einem zieht und zerrt. Wir müssen Prioritäten setzen, die Situation ist für alle belastend. Im Rettungsdienst nennen wir das Chaosphase, die wir dort schnell durchbrechen konnten.

Konnten Sie aus den Extremeinsätzen davor lernen?

Ja. Vor allem, was die Psychosoziale Notfallversorgung anbelangt. Es gibt ausgebildete Kräfte, die sich um Betroffene vor Ort kümmern. Diese holen wir nun schneller dazu. Eine Kollegin war gleich zur Stelle, mischte sich unter die Menge, hörte zu und informierte über Hilfsangebote, die man später wahrnehmen kann. Betroffene wählen dann die 112 oder die 110 und werden an uns weitergeleitet. In Würzburg werden sie auch durch Notfallseelsorger betreut, Diakon Ulrich Wagenhäuser ist der Leiter der Notfallseelsorgegruppe.

Wie geht es Ihnen nach einem solchen Einsatz?

Ich habe schon viel im Rettungsdienst erlebt und habe auch mit meiner Frau, die auch in dem Bereich arbeitet, darüber gesprochen. Aber so einen Einsatz hakt man nicht einfach ab.

Können auch Rettungskräfte Hilfe einfordern?

Ja, eine Psychosoziale Nachsorgeeinheit gibt es auch für Rettungskräfte. Diese speziell geschulte Einheit, die aus dem Rettungsdienst kommt, haben wir gleich alarmiert und uns alle nach dem Einsatz in der Rettungswache der Malteser versammelt und über mögliche Symptome gesprochen. 48 Stunden nach einem psychisch belastenden Einsatz kann es zu Appetitlosigkeit und Schlafstörungen kommen. Wir haben allen mitgegeben, dass − wenn die Belastung zu groß ist − es keine Schande ist, sich professionelle Hilfe zu holen.

Das Interview führte Galina Bauer (POW/Würzburger katholisches Sonntagsblatt)

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