Auf Facebook wurde am 22. April ein Beitrag der österreichischen Lokalzeitung Die Monatliche veröffentlicht und mehr als 2.400 Mal geteilt. Darin hieß es, Covid-19 sei eine „Nichtraucher-Krankheit“. Raucher bekämen sie „fast nie“, weil Nikotin vor dem Coronavirus schütze.
Die Grundlage hierfür soll eine noch nicht abschließend bewertete französische Studie (Preprint) sein. Die Autoren werteten Patientendaten aus und kamen zu dem Schluss, dass der durchschnittliche Anteil der Raucher niedriger sei als in der Gesamtbevölkerung Frankreichs. Sie vermuten deshalb, dass Nikotin hilfreich sein könnte. Es besetze Zellrezeptoren, die das Coronavirus zur Ausbreitung in andere Zellen benötige.
Über die Studie wurde auch von anderen Medien berichtet, etwa bei Spiegel oder N-TV. Auf Facebook kursieren andere Beiträge mit der gleichen Aussage, hier wird als Quelle das Sat.1-Frühstücksfernsehen angegeben.
Die zuständige Mitarbeiterin bestätigte CORRECTIV auf Nachfrage, dass dieser Beitrag am 23. April ausgestrahlt worden war und stellte dem Netzwerk den knapp einminütigen Beitrag zur Verfügung. Der Moderator betont darin mehrfach, dass die angebliche Schutzwirkung von Nikotin bislang lediglich eine Vermutung sei.
Erste Studien: Rauchen eher Risikofaktor für Covid-19
Ende März hatte das Wissenschaftsmagazin Scinexx berichtet, dass Raucher besonders gefährdet sein könnten, weil Nikotin die Bildung der für das Coronavirus relevanten Zellrezeptoren begünstige. Welcher Rezeptor das genau ist, steht aber laut der Studie, auf die sich Scinexx bezieht, noch nicht fest. In einer zweiten Studie, die in dem Artikel von Scinexx genannt wird, beobachteten Wissenschaftler, dass viele Covid-19-Patienten in kritischem Zustand Raucher sind oder waren. Dieser Teil der Studie bezieht sich jedoch nur auf elf Teilnehmer, die Datenbasis ist also sehr klein.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) führt auf seiner Informationsseite zu Covid-19 Raucher als Risikogruppe für schwere Verläufe an, jedoch mit schwacher Evidenz. Das RKI bestätigte uns auf Nachfrage per E-Mail, dass die „wenigen Studien“, die es zum Thema gebe, „das Rauchen eher als einen Risikofaktor für schwere Verläufe von Covid-19“ sehen.
Französische Studie: Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren
In der französischen Studie, auf die sich die Behauptung bezieht, heißt es: „Unsere Querschnittsstudie, sowohl bei ambulanten als auch bei stationären Covid-19-Patienten, deutet stark darauf hin, dass Raucher, die täglich rauchen, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine sehr viel geringere Wahrscheinlichkeit haben, eine symptomatische oder schwere SARS-CoV-2-Infektion zu entwickeln.“
Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, Nikotin helfe gegen das Coronavirus. Die Autoren der Studie weisen explizit darauf hin, dass sie wegen der geringen Fallzahlen nicht nachweisen konnten, ob Rauchen einen Einfluss auf den Verlauf von Covid-19 habe.
Die Wissenschaftler weisen außerdem darauf hin, dass ihre Studienergebnisse vorsichtig interpretiert werden müssen: „Unsere Ergebnisse sollten mit Vorsicht interpretiert werden und wir sind uns ihrer Grenzen bewusst.“ Ob es wirklich Nikotin ist, das einen potenziellen Effekt auf den Verlauf der Krankheit habe, oder einer der anderen chemischen Stoffe im Tabak, sei noch unklar.
Fazit: Es ist nicht bewiesen, dass Nikotin den Verlauf der Krankheit beeinflusst. Darauf weisen die französischen Forscher und das RKI hin.
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