Vier Straßen und der Kardinal-Faulhaber-Platz werden umbenannt

An dieser Stelle am Rande der Innenstadt stauen sich die Probleme: der Kardinal-Faulhaber-Platz, im Hintergrund das Mainfranken-Theater.

Aus der Hermann-Zilcher-Straße wird die Theresia-Winterstein-Straße – Ob der Kardinal-Faulhaber-Platz nach Barbara Stamm benannt werden soll, muss noch entschieden werden

Nach einer über einjährigen intensiven öffentlichen Diskussion, der Einbeziehung der Anwohner wie auch der Nachkommen der bisherigen Straßennamensgeber durch die Straßennamenkommission hat der Würzburger Stadtrat die abschließende Empfehlung der Kommission umgesetzt und die Neubenennung von vier Straßen im Stadtgebiet beschlossen. In der gleichen Sitzung wurde auch beschlossen, den Kardinal-Faulhaber-Platz umzubenennen.

Ob der Platz nach Barbara Stamm benannt werden soll, muss noch entschieden werden. Die bisher gehandhabte Praxis der Stadt sieht die Benennung nach Persönlichkeiten erst drei Jahre nach deren Ableben vor.

„Die Benennung einer Straße nach einer Person stellt eine hohe Ehre dar. Straßennamen sind Ankerpunkte geografischer, historischer Natur und Teil des kollektiven Gedächtnisses“, sagt Oberbürgermeister Christian Schuchardt. „Straßennamen spiegeln jeweils aktuelle Maßstäbe und den gesellschaftlichen Kontext, aber auch die Werteanschauung zum Zeitpunkt der Namensfindung wieder.“ Mit der Neubenennung der von der Straßennamenkommission vorgeschlagenen Straßen und auch des Kardinal-Faulhaber-Platzes beschäftige sich Würzburg ernsthaft mit seiner Vergangenheit und übernehme politische Verantwortung, so der OB. Auch für weitere Straßen seien Kontextualisierungen beschlossen, die die Namensträger differenziert darstellen.

Der bisherige Heiner-Dikreiter-Weg wird Milly-Marbe-Fries-Weg heißen, die Nikolaus-Fey-Straße in Elli-Michler-Straße umbenannt, die Schadewitzstraße in Rosa-Buchbinder-Straße und die Hermann-Zilcher-Straße in Theresia-Winterstein-Straße. Die Umbenennung der vier Straßen und der damit einhergehende Austausch der Schilder werden nach und nach in der nächsten Zeit erfolgen. Automatisch vollzogen werden die Ummeldungen bei WVV, Stadtreinigern, Post, Adressbuch, Finanzamt, Gewerbeummeldungen sowie Grundbucheinträge. Städtische Gebühren werden nicht erhoben. Die Hausnummern bleiben erhalten.

Wer sind die neuen Namensgeberinnen?

Milly Marbe-Fries (1876-1947)

Die Malerin wurde als Emilie Henriette Fries in Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater Jakob war wesentlich am Bau des dortigen Eisernen Stegs beteiligt, die Mutter Anna galt den Nationalsozialisten als Jüdin und Milly aufgrund des evangelischen Vaters als „Halbjüdin“ bzw. „Mischling 1. Grades“. Drei Cousinen von Milly Marbe-Fries mussten ins Ausland emigrieren, eine wurde in der Shoa ermordet.

1908 heiratete sie den Psychologieprofessor Karl Marbe und zog 1910 mit ihm nach Würzburg. Hier schuf sie zahlreiche Kunstwerke, zumeist Stillleben, Landschafts- und Porträtbilder, womit sie sich in der Weimarer Republik einen Namen machte. Ab 1932 bewohnte das Ehepaar die von ihnen errichtete „Villa Marbe“ im Judenbühlweg. 1935 übergab der NS-Oberbürgermeister von Würzburg Theodor Memmel noch ein Bild von Marbe-Fries zur Ausstattung des neuen Motorschiffs „Würzburg“, doch öffentlich ausstellen durfte sie ihre Bilder nicht mehr. Nach dem Krieg gehörte sie zu den ersten, deren Werke wieder in Unterfranken gezeigt werden konnten.

Elli Michler (1923-2014)

Die Schriftstellerin wurde als Elfriede Rosa Heilmann geboren, sie besuchte das Mädchen-Gymnasium der Englischen Fräulein, bis es 1938 aufgelöst wurde. Danach absolvierte sie ein soziales Pflichtjahr in Berlin und wurde während des Zweiten Weltkriegs in einem als kriegswichtig eingestuften Industrieverband dienstverpflichtet. Sie studierte an der juristischen Fakultät, bestand die Hauptprüfung für Diplom-Volkswirte und heiratete Manfred Waldemar Michler aus Breslau im Jahr 1949. Sie zogen nach Frankfurt/Main und später nach Bad Homburg. Ihren ersten Band mit lyrischen Werken veröffentlichte sie in den 1980er-Jahren, 2010 erhielt sie für ihr dichterisches Werk das Bundesverdienstkreuz.

Rosa Buchbinder (1897-1983)

Rosa wurde als Tochter des jüdischen Ehepaares Karl und Karoline Buchbinder in Bad Kissingen geboren. Der Vater war als Orchestermusiker auch am Stadttheater Würzburg tätig. Zwei seiner Töchter, Elsa und Rosa, erhielten eine musikalische Ausbildung. Rosa war von 1916 bis 1929 am Stadttheater Würzburg als Harfenistin engagiert. 1929 wechselte sie ans Stadttheater Nürnberg. Da der Vater aus Böhmen stammte, wurden die Kinder als tschechoslowakische Staatsangehörige angesehen, Rosas Einbürgerungsversuch scheiterte im Jahr 1930. 1933 wurde sie aufgrund ihrer Herkunft aus einer jüdischen Familie vom Theater Nürnberg entlassen. Sie kehrte nach Würzburg zur Mutter zurück, emigrierte 1937 nach New York. Mutter und Schwester Elsa folgten.

Rosa arbeitete als Fabrikarbeiterin für die Hälfte des damals üblichen Wochenlohns. 1943 nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1956 wurde ihr eine Wiedergutmachungsleistung der Stadt Nürnberg zugesprochen. 1983 verstarb sie in New York. Ihre Schwester Hilde (geb. 1894), die seit 1905 aus medizinischen Gründen in der Diakonissenanstalt Neuendettelsau untergebracht war, gehörte zu den frühen Opfern der NS-Krankenmorde.

Theresia Winterstein (1921-2007)

Theresia Winterstein wurde als Tochter des Ehepaars Johann und Josefine Spindler in einer Sinti-Familie geboren. Die Eltern verkauften auf Messen und Märkten Korbwaren. 1936 ließen sie sich in Lohr nieder. 1939 wurde die Mutter wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ angezeigt, der Wandergewerbeschein entzogen und der Familie eine Wohnung in Würzburg zugewiesen. Theresia trat wiederholt 1939/40 als Tänzerin und Sängerin im CC-Varieté in der Eichhornstraße und im Stadttheater auf, was ihr aber nicht mehr lange erlaubt wurde. So arbeitete sie als Näherin, Arbeiterin in der Bonbonherstellung, Packerin und Platzanweiserin in einem Kino.

Da sie als „Zigeunermischling mit überwiegend zigeunerischem Blutsanteil“ eingestuft war, wuchs der Druck der Behörden auf sie, sich sterilisieren zu lassen. Als sie ihren späteren Mann Gabriel Reinhardt kennenlernte, einen laut NS-Bezeichnung „Vollzigeuner“, wurde sie mit Zwillingen schwanger. Die Behörden erlaubten das Austragen der Kinder, vorausgesetzt, sie lasse sich danach sterilisieren. Am 3.3.1943 kamen beide Töchter zur Welt. Nur einen Monat später musste Theresia die Töchter der Gestapo übergeben. Eine der beiden verstarb kurz danach in der Universitätsklinik, vermutlich waren an beiden Versuche durchgeführt worden. Erst um die Jahreswende 1943/44 konnte Theresia die überlebende Tochter Rita wieder zu sich nehmen. Inzwischen waren verschiedene Mitglieder ihrer Familie nach Auschwitz deportiert worden. 1943 wurde Theresia zwangssterilisiert.

Nach dem Kriegsende lebten die überlebenden und vielfach traumatisierten Mitglieder der Familie Winterstein wieder in Würzburg. Theresia Winterstein heiratete erneut und ging mit dem US-Soldaten Emanuel Seible nach New York. Die Ehe scheiterte und sie kehrte nach Deutschland zurück, wo sie eine Frauenorganisation der Sinti und Roma gründete, die sich insbesondere auch der Anliegen von Zwangssterilisierten annahm. Sie starb 2007 in Frankfurt am Main. Die Erlebnisse von Theresia Winterstein und Tochter Rita Prigmore sind im Holocaust Memorial in Washington archiviert.

Informationen zur Tätigkeit der Straßennamenkommission: https://www.wuerzburg.de/strassennamendiskussion

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert