In der Corona-Pandemie beim Einkaufen im Supermarkt einen Mund-Nase-Schutz tragen? Ja, sagt Professor Carsten Scheller vom Lehrstuhl für Virologie an der Uni Würzburg. Lesen Sie hier ein Interview rund um die Maske.
In vielen asiatischen Ländern prägen sie seit langer Zeit das Bild in den Straßen. Auch Tschechien und Österreich haben sie jetzt als Pflicht eingeführt: die Masken. Was halten Sie davon?
Carsten Scheller: Die Covid-19-Infektion wird hauptsächlich per Tröpfchen übertragen, die von Menschen, die infiziert sind, ausgeatmet werden. Diese Tröpfchen enthalten das SARS-CoV2-Virus, den Erreger der Erkrankung Covid-19. Und wenn man diese Tröpfchen einatmet, kann man sich infizieren. Bisher versuchen wir, dieses durch die 1,5-Meter-Abstandsregel zu verhindern. Noch besser wäre es, das Ausatmen dieser Tröpfchen an der Quelle zu reduzieren, von der sie stammen: der Person, die diese Tröpfchen ausatmet.
Welchen Unterschied gibt es bei den Masken hinsichtlich ihrer Wirksamkeit?
Carsten Scheller: Wir haben verschiedene Masken, die verschiedene Aufgaben erfüllen. Die einfachsten Modelle sind der Mund-Nasenschutz, den Sie vielleicht von Ihrem Zahnarzt oder von Bildern aus dem OP kennen. Dieser einfache Schutz reicht vollkommen aus, um zu verhindern, dass Tröpfchen in großer Menge ausgeatmet werden können. Wenn sie richtig angelegt werden, kann man davon ausgehen, dass sie auch den Träger selbst zu einem gewissen Grad schützen. Deshalb tragen jetzt bei uns im Klinikum alle Mitarbeiter einen solchen Mundschutz.
Bei Hochrisikokontakten, also zum Beispiel bei der Versorgung von Covid-19-Patienten auf den Infektionsstationen, wird für Klinikpersonal ein anderer Mundschutz empfohlen, der noch mehr Sicherheit gibt. Das sind dann die FFP2/3-Masken, bei denen der Schwerpunkt ganz klar auf dem persönlichen Eigenschutz liegt. Solche Masken sind aber für die allermeisten von uns im öffentlichen Raum nicht sinnvoll, insbesondere dann nicht, wenn man keiner Risikogruppe angehört: das persönliche Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, ist für die allermeisten gering.
Ein Mund-Nase-Schutz kann nicht zu 100 Prozent verhindern, dass Tröpfchen freigesetzt werden. Warum ist es aber dennoch sinnvoll, diesen Schutz zu tragen?
Carsten Scheller: Bei einer Epidemie geht es darum, an möglichst vielen Stellschrauben zu drehen, um das Virus zu schwächen. Die Epidemiologen sprechen hierbei von der Reproduktionszahl R. Sie gibt an, wieviele Menschen von einer infizierten Person durchschnittlich angesteckt werden können. Bei Covid-19 sind das nach bisherigen Schätzungen ungefähr drei.
Jede Maßnahme, die eine Übertragung unwahrscheinlicher macht, senkt diese Zahl. Je weiter wir es schaffen, diese Zahl in Richtung eins zu senken, desto weniger schnell kann sich das Virus ausbreiten. Senken wir diese Zahl unter eins, stoppt die Epidemie sogar. Insofern sind auch Teileffekte sinnvoll, wenn sie dabei helfen, die Zahl R weiter zu senken. Man kann sich das so vorstellen: Die Abstandsregel senkt die Zahl R um einen gewissen Betrag, das Händewaschen nach dem Einkauf ebenfalls, und das Tragen eines Mund-Nasenschutzes würde einen weiteren Beitrag dazu leisten. Daneben sind aber natürlich auch andere Maßnahmen extrem wichtig: häufiges Testen gegen das Virus und Isolation von Erkrankten. Unser Ziel muss also sein: „verkleinert das R“.
Würde eine Impfung auch das R verkleinern?
Carsten Scheller: Ja. Neben dem individuellen Schutz hat eine Impfung auch eine Wirkung auf dieses R, weil sie die Wahrscheinlichkeit verringert, dass ein Virus auf andere Personen übertragen werden kann, wenn diese auch geimpft sind. Leider haben wir aber keinen Impfstoff gegen Covid-19 – und er wird möglicherweise auch erst so spät kommen, dass wir uns in der Zwischenzeit etwas anderes einfallen lassen müssen, um uns besser zu schützen. Interessant ist übrigens folgende Überlegung: Auch die jährliche Grippe-Impfung, für die ich an dieser Stelle ausdrücklich werben möchte, verhindert nicht immer bei jedem Einzelnen eine Infektion mit Influenza. Wenn aber viele Menschen geimpft werden, sinkt für alle die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Genau diese Wirkung sollte auch das verbreitete Tragen von einem Mund-Naseschutz in der Öffentlichkeit haben: Es wäre gewissermaßen eine Impfung aus Stoff.
Wo wären solche Masken besonders effektiv?
Carsten Scheller: Nicht alle Menschen geben das Virus mit der gleichen Wahrscheinlichkeit weiter. Die Kassiererin im Supermarkt, der Verkäufer im Modegeschäft oder die Beraterin in der Bank begegnen täglich hunderten von Menschen. Wenn diese Personen mit dem Virus infiziert sind, können sie während der ein bis zwei Wochen, in denen sie die Infektion tragen, zu „Superspreadern“ werden, die das Virus an viele andere Menschen weitergeben – auch, wenn sie selbst gar nicht bemerken, dass sie infiziert sind. In diesen Fällen wäre das Tragen eines solchen Mund-Naseschutzes besonders sinnvoll. Aber natürlich gilt dies auch für jeden Einzelnen, denn in der Summe haben auch die „normalen“ Menschen untereinander eine Vielzahl von Kontakten.
Wie sind die Erfahrungen in anderen Ländern, in denen schon Masken getragen werden?
Carsten Scheller: Wie kennen die Bilder aus Japan, Südkorea oder China, wo Menschen in der kalten Jahreszeit schon seit vielen Jahren ganz selbstverständlich solche Masken tragen, um sich vor Erkältungskrankheiten zu schützen. Es ist leider sehr schwierig, die Effekte des Tragens dieser Masken im Vergleich mit anderen Ländern wissenschaftlich genau zu messen, weil verschiedenste Faktoren, wie zum Beispiel die Altersstruktur, die Durchimpfungsrate oder die Dichte der Besiedlung ebenfalls eine große Rolle bei der Übertragung von Tröpfcheninfektionen spielen. Empirisch gesehen kann man aber feststellen, dass in der jetzigen Covid-19-Pandemie die Länder Südkorea, Japan und nach offiziellen Angaben inzwischen auch China die Krise sehr gut meistern – auch ohne großflächige Ladenschließungen. Auch hier muss man natürlich genau hinschauen: Japan zum Beispiel testet sehr wenig und hat deshalb niedrige gemeldete Fallzahlen; umgekehrt werden aus Japan aber auch kaum Todesfälle gemeldet und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems wie in Italien, Spanien und Teilen Frankreichs wird derzeit noch nicht beobachtet. Allerdings ist die Lage natürlich sehr dynamisch und es ist schwierig zu sagen, ob das so bleiben wird.
Österreich hat eine Maskenpflicht für Menschen eingeführt, die einkaufen wollen. Ein Modell auch für uns?
Carsten Scheller: Ich persönlich würde dazu raten. Die Abstandsregel ist gut, aber sie verhindert nicht zuverlässig, dass wir uns im Alltag doch auf engerem Raum begegnen: Vor dem Kühlregal im Supermarkt oder in engen öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch das Verteilungskonzept, das in Österreich angewendet wird, ist sehr klug: Jedes Geschäft, das geöffnet hat, muss den Kunden am Eingang einen Mundschutz zu Verfügung stellen. Entscheidend ist natürlich, dass wir auch eine entsprechende Anzahl an Masken bekommen. Für ganz Deutschland würden wir dann mehrere hundert Millionen benötigen. Bis die verfügbar wären, wird es leider ein bisschen dauern.
Ist das Tragen von Masken in der Bevölkerung nicht schwer zu vermitteln?
Carsten Scheller: Ohne einen Mundschutz ist das Leben natürlich schöner. Aber wir erleben in Zeiten von Covid-19 eine große Solidarität untereinander, und das Tragen dieser Masken hat ja eigentlich den besonderen Charme, andere schützen zu wollen – und damit im Umkehrschluss natürlich auch sich selbst. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass solche Vorschläge auf eine breite Akzeptanz stoßen können; insbesondere, wenn sie ein Baustein dazu sein können, ein Stück Normalität im Leben zurückzugewinnen, so dass auch die Geschäfte und die vielen kleinen Unternehmen wieder öffnen können.
Medizinische Schutzausrüstung ist in diesen Tagen ein begehrtes Gut. Würde die Empfehlung, einen Mundschutz im öffentlichen Raum zu tragen, die Konkurrenz auf den Märkten nicht noch verschärfen?
Carsten Scheller: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen sicherstellen können, dass unsere Kliniken, Arztpraxen, Pflegeheime und Pflegedienste weiterhin ausreichend mit Schutzausrüstung versorgt werden können. Da weltweit die Nachfrage an Mundschutz steigen wird, könnte man darüber nachdenken, den öffentlichen Bereich mit ganz eigenen Produkten zu versorgen, zum Beispiel mit genähten Masken aus Stoff. Die Kontaktbeschränkungen und Ladenschließungen gelten ja vorerst bis zum 20. April. Vielleicht kann man die Zeit bis dahin weiter intensiv nutzen, um die Produktion von Mundschutzmasken zu organisieren. Wer als Trendsetter aktiv werden möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich einen Mundschutz selber zu nähen.
Wäre mit dem Tragen von Masken automatisch alles gelöst?
Carsten Scheller: Das Tragen von Masken kann immer nur ein Baustein in einem ganzen Bündel von Maßnahmen sein, allerdings möglicherweise ein wichtiger. Dazu kommt die 1,5-Meter-Abstandsregel und das regelmäßige Händewaschen mit Seife. Außerdem müssen wir natürlich weiterhin viele Testungen von Patienten mit Erkältungssymptomen durchführen, um Infektionen aufzuspüren. Stichprobentestungen können helfen, die Dynamik des Infektionsgeschehens besser einzuschätzen, schneller auf Veränderungen zu reagieren und den Ausbruch von Covid-19-Infektionen in Seniorenheimen und Pflegeheimen früher zu entdecken.