„Weihnachten ist ohne Musik nicht denkbar“

Die Würzburger Domsingknaben beim Weihnachtskonzert 2019. Foto Markus Hauck (POW)

Domkapellmeister Christian Schmid und Assistent Sebastian Ferenz über Weihnachtslieder und wie sich die Würzburger Dommusik auf Weihnachten vorbereitet

Spätestens ab Ende November erklingen in den Kaufhäusern und Geschäften die Töne bekannter Weihnachtslieder. Jedes Jahr werden neue Lieder produziert und vermarktet, aber auch altbekannte Lieder in den verschiedensten Gewändern begleiten die Menschen durch die Weihnachtszeit. Auch in den Messen gehört das gemeinsame Singen der Weihnachtslieder dazu: So ist auch für die Chöre der Würzburger Dommusik Weihnachten der Höhepunkt des Jahres und eine ganz besondere Zeit.

Wie sich die Dommusik auf Weihnachten vorbereitet, erklären Domkapellmeister Professor Christian Schmid und Assistent Sebastian Ferenz im Interview. Außerdem thematisieren sie die Herkunft der Lieder und warum diese so beliebt sind.

Ist Weihnachten ohne Musik möglich?

Domkapellmeister Professor Christian Schmid: Da bin ich vielleicht der Falsche, um das zu beantworten (lacht). Aber nein, Weihnachten ist ohne Musik natürlich nicht denkbar. Selbst im ganz profanen Bereich, wenn man zum Beispiel ins Kaufhaus geht. Man riecht sofort die Zimtsterne, wenn man „White Christmas“ oder „Last Christmas“ hört. Es ist höchst interessant, woher das kommt, warum die Weihnachtslieder uns so emotional ansprechen.

Viel hat das mit Nostalgie zu tun: Weihnachten als Kind ist schön, Weihnachten in der Familie ist schön. Ich selbst durfte das so erleben in meiner Familie. Da gab es im Advent abends um den Adventskranz eine Adventsgeschichte, dazu wurde gesungen und es gab Lebkuchen. Das Warten oder besser Hinfiebern mit dem Adventskalender auf den Heiligabend war magisch für uns Kinder. Insofern verbindet man mit diesen Klängen im Ohr eine ganz wunderbare Zeit.

Sebastian Ferenz: Von Kindesbeinen an war das, zumindest bei uns, die gesungen haben und mit Musik in Kontakt waren, immer so, dass an Weihnachten die besondere Stimmung aufgegriffen wurde. Die Farben, die alle Sinne ansprechen, die Tannenbäume, alles was auf die Menschen so einprasselt, hat man aufgenommen und die innere Kraft der Lieder gespürt. Das ist eine ganz besondere Zeit, obwohl von außen auch viel Stress kommt. Aber wir können uns dann zurückziehen mit Musik und gehen in die Tiefe.

Schmid: Die Stimmungen und Bilder dieser Lieder – Schnee, Kälte und Wärme, der Tannenbaum, Sterne und Lichter – sprechen uns ganzheitlich an, das heißt, jeder kann damit etwas verbinden. Dazu kommen noch die wunderbaren Gerüche, die wir, wenn wir an Advent und Weihnachten denken, in der Nase haben. Das alles trägt zu dieser immensen Beliebtheit der Weihnachtslieder bei.

Ein schönes Beispiel für mich ist das Lied „Maria durch ein Dornwald ging“. Die unmittelbaren Bilder und die Stimmungen, die damit assoziiert werden, sind doch wunderbar: „Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen.“ Die „Dornen“, die „Rosen“ tragen… Das sind Bilder und Stimmungen, die uns direkt und unmittelbar ansprechen. Das berührt jeden, der genau zuhört. Und dann kommt noch die Musik „on top“. Musik vermag ja etwas auszudrücken, worüber man nicht sprechen kann, wie Victor Hugo sagte. Das Moll in diesem Lied ist nicht unbedingt traurig, es hat etwas Warmes, Weiches, Liebevolles.

Wie sind Weihnachtslieder entstanden?

Schmid: Die ersten Weihnachtslieder stammen vermutlich aus der vorchristlichen Zeit, und da waren die Sonnenwendfeiern im Winter ein ganz wichtiger Punkt. Im Englischen und Französischen heißen Weihnachtslieder heute noch „Carols“, die Etymologie des Wortes heißt „im Kreis singen und tanzen“. Ich glaube, dass genau das auf diese Art zurückgeht, wie die Wintersonnenwende im Winter gefeiert wurde.

Das erste überlieferte Weihnachtslied christlicher Art ist ein Engelhymnus aus dem vierten Jahrhundert. Um das Jahr 1000 waren solche Hymnen dann in ganz Europa verbreitet. Allerdings waren sie auf Lateinisch und die meisten Leute haben Latein nicht verstanden und hatten so emotional keinen Zugang zu den weihnachtlichen Gesängen. Man vermutet, dass diese deshalb noch relativ wenig gesungen wurden.

Um Weihnachten dem Volk näher zu bringen, gerade auch emotional, hat Franz von Assisi im 13. Jahrhundert die Krippenspiele eingeführt, zu denen nun auch gesungen wurde. Zunächst auf Lateinisch, aber dann immer mehr auch volkssprachlich, vermutlich auf Italienisch. Bei uns ist „Nun sei uns willkommen, Herre Christ“ aus dem 14. Jahrhundert das erste überlieferte Weihnachtslied auf Deutsch. Ganz viele unserer heute bekannten Weihnachtslieder sind dann um die Reformation herum entstanden.

Durch Luthers Bibelübersetzung wurden nun auch Lieder adaptiert wie zum Beispiel „Vom Himmel hoch“ und „In Bethlehem geboren“. Zur Zeit der Säkularisation um 1800 hat sich die Gesellschaft dann wieder entkirchlicht. Man hat sich auf die Gemeinschaft im privaten beziehungsweise familiären Rahmen zurückbesonnen. Die Tradition des weihnachtlichen Singens – auf das man aus genannten Gründen nicht verzichten wollte – hält sich bis heute, in den Familien, in Schulen, in Kindergärten oder im Kaufhaus.

Ist die Kommerzialisierung ein Problem?

Schmid: „Jingle Bells“ oder „White Christmas“ haben sicher einen weihnachtlichen Inhalt, aber sind keine aus dem Christentum entstandenen Lieder. Trotzdem finde ich sie toll, auch wenn das eine andere Art von Tradition ist. Was man hinterfragen kann ist die Kommerzialisierung. Für uns Christen ist der Advent die Zeit der Besinnung und des zur Ruhekommens, erst mit dem Heiligabend beginnt das Weihnachtsfest. Wie es in Kaufhäusern und ähnlichem zugeht, hat damit natürlich nichts mehr zu tun beziehungsweise ist hier ist es genau umgekehrt. In unseren Liturgien sind wir natürlich sehr streng. Weihnachtslieder werden erst ab dem Heiligen Abend gesungen.

Manche Lieder haben auch keinen geistlichen Inhalt und daher singen wir sie nicht im Gottesdienst, auch nicht an Weihnachten. Vielleicht kann ich das so erklären: In Amerika gibt es nicht den Nikolaus, sondern den Santa Claus. Der wurde in einem Film erfunden und Coca Cola hat das aufgegriffen. Der heilige Nikolaus war lediglich die Vorlage. Ich will das gar nicht werten, aber natürlich hat daher das Lied „Santa Claus is coming to town“, wenn man genau ist, im Gottesdienst nichts verloren. Trotzdem ist es schön, dass sich aus dem weihnachtlichen Gedanken immer wieder neue Lieder entwickeln.

Würzburger-Dommusik-Weihnachtslieder
Domkapellmeister Professor Christian Schmid (rechts) und Sebastian Ferenz in einem der Probensäle der Würzburger Dommusik. Foto Katrin Henn (POW)

Wünschen sich die Chormitglieder manchmal, andere Lieder zu singen?

Schmid: Im Vorchor singen wir natürlich auch Volkslieder. Bei den Großen habe ich die Frage, wenn ich ehrlich sein darf, noch nie gehört. Bei der Weihnachtsfeier singen wir sicher auch mal „White Christmas“, „Last Christmas“ oder „Feliz Navidad“. Mit den tradierten und geistlichen Weihnachtsliedern sind unsere Sängerinnen und Sänger daher wohl ausnahmslos glücklich.

Ferenz: Sie verbinden „Poplieder“ auch nicht mit dem, was wir hier machen, sondern vielleicht eher mit dem Einkaufen und dem Trubel in der vorweihnachtlichen Zeit. Bei uns ist die Verbindung dann wohl eher zu den traditionellen Advents- und Weihnachtsstücken gegeben.

Wie entscheiden Sie, welche Weihnachtslieder gesungen werden?

Schmid: Im Prinzip sind wir an die Liturgien des Doms gebunden. Wir gehen die Texte, Lesungen und Evangelien der entsprechenden Tage durch. An Weihnachten ist es ein Sonderfall, weil traditionell bestimmte Lieder erwartet werden. Am 24. Dezember kann man nicht ohne „Stille Nacht“ aus dem Dom gehen, und am ersten Feiertag gehört „Oh du fröhliche“ am Ende des Gottesdiensts mit dazu.

Welche Auswirkungen hatte die Coronapandemie auf die Kirchenmusik?

Schmid: Natürlich katastrophale. Wir durften aber wenigstens in kleinen Gruppen musizieren. Tragisch war, dass wir im vergangenen und auch in diesem Jahr so viele Kinder und Jugendliche vor Weihnachten enttäuschen mussten. Weihnachten ist mit Konzerten und tollen Liturgien, wenn der Dom voll ist, ein Höhepunkt für die Kinder und Jugendlichen, die sich mehrmals die Woche über die Maßen engagieren. Man arbeitet das ganze Jahr darauf hin, und dann kam vergangenes Jahr kurz vor Weihnachten der Lockdown. Wir mussten allen sagen: „Bleibt zu Hause, wir haben umsonst geübt.“ Auch dieses Jahr müssen wegen Corona die Konzerte im Advent und an Weihnachten ausfallen. Nein, umsonst übt man natürlich nicht, aber für ein Kind fühlt es sich so an und es ist wahnsinnig enttäuscht.

Teilweise konnte auch die Gemeinde im Gottesdienst nicht singen, das wiederum hat den Chorgesang noch einmal belebt. Die Chöre beziehungsweise kleinen Ensembles mussten im vergangenen Jahr auch die Gemeindelieder singen. Unser Bischof meinte nach Weihnachten zu mir, dass man aber noch einmal einen besonderen Zugang zu einem Weihnachtslied hat, wenn man nur zuhört und nicht singt. Aktives Zuhören ist auch etwas total Schönes. Wir hoffen aber, dass es dieses Jahr anders ist, auch wenn die Vorzeichen wieder relativ düster sind.

Haben Sie im Chor Veränderungen gemerkt, weil Sie weniger proben und auftreten konnten?

Schmid: Wir sind so dankbar, dass alle überhaupt noch kommen. In den zurückliegenden zwei Jahren hatte jeder auch Gelegenheit, sein Leben ein Stück weit zu „entrümpeln“. Daher waren wir dankbar, dass fast 100 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen wieder kamen. Was mir Sorgen macht, sind die Zahlen bei unseren Jüngsten. Wir können nach wie vor keine Werbung für das Singen in Schulen und Kindergärten machen. Ich bin zwar zuversichtlich, dass sich das wieder erholt. Trotzdem werden wir die Auswirkungen der Coronakrise für die Chöre noch lange spüren.

Was ist Ihr Lieblingsweihnachtslied?

Schmid: „Es ist ein Ros entsprungen“. Das hat bei mir zwei Gründe. Zum einen bin ich im Knabenchor groß geworden. Das Singen im Kindesalter prägt ungemein, und ich kann mich erinnern, wie wir an diesem Praetorius-Satz Jahr für Jahr, immer und immer wieder gefeilt haben.. Dadurch ist das Lied durch alle Weihnachten hinweg präsent gewesen. Zum anderen faszinieren mich gerade in diesem Lied die Bilder dieses Textes ungemein.

Das „Ros“, das nichts mit einem Pferd zu tun hat, sondern mit einer Rose, die in dieser kargen Zeit aus einer Wurzel erblüht. Vor allem die dritte Strophe ist für mich magisch: „Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis. Wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.“ Wie passend, auch in diesen Tagen!

Ferenz: Ein Klassiker: „Oh du Fröhliche“. Der majestätische Charakter der Musik und der feierliche Text lassen alle Gläubigen mit großer Freude in den Jubel um Christi Geburt einstimmen. Zudem ist das Stück voller Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auch hier passt die Botschaft doch wunderbar in die jetzige Zeit.

Interview: Katrin Henn (POW)

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