Interview mit Ulrich Tukur zur neuen Tour mit den Rhythmus Boys – Live am 13. Dezember 2024 in der St. Johannis Kirche in Würzburg.
Ulrich Tukur ist ein Allroundtalent. Für Rollen in Filmen wie „Stammheim“, „Rommel“, „Das Leben der Anderen“ oder „Tatort“ wurde er mit den bedeutendsten nationalen Schauspielpreisen ausgezeichnet, doch für ihn selbst hat die Musik Vorrang. Mit seiner Band, den „Rhythmus Boys“ und Gasttrompeter Till Brönner hat Ulrich Tukur Anfang des Jahres das Album „Es leuchten die Sterne“ veröffentlich.
wob: Sie haben jetzt einen Vertrag bei der Musikindustrie. Ihre aktuelle Platte „Es leuchten die Sterne“ ist bei Warner Music Germany erschienen.
Ulrich Tukur: Die Firma Warner hielt das Album ihres Jazz-Programms für würdig, es gab sogar eine Vinylplatte, was ich wunderbar finde. Vinyl ist ein schöner Trend, ein letztes Aufbäumen analoger Konservierungstechniken.
Sie benutzen bei Gesangsaufnahmen kein Auto-Tune, oder?
Tukur: Um Gottes willen! Wir tricksen nicht, singen und spielen sogar noch selbst. Das ist alles einfach und ehrlich. Wir haben mit alten Mikrofonen aufgenommen und die digitalen Audiofiles in der Postproduktion über eine analoge Tonbandmaschine laufen lassen. Dadurch bekommt das Ganze etwas angenehm Weiches. Aber das hören wahrscheinlich nur Fachleute.
Welche noch nicht abgelutschten Titel sind auf der neuen Platte zu hören?
Tukur: „Nasse Lyrik“ zum Beispiel, ein sehr schräges Chanson. Und wir haben „Tuxedo Junction“ eingespielt. Da ahmen wir Glenn Millers Posaunen, die wir uns nicht leisten konnten, mit unseren Stimmen nach. Till Brönner, mit dem ich seit meiner Ankunft in Berlin befreundet bin, hat uns auf zwei Nummern die Ehre gegeben. Und auch das Streichensemble der Anne de Wolff ist mit von der Partie. Das Ganze hat einen guten Schmelz.
Mit welchem Songschreiber bzw. Texter sympathisieren Sie eigentlich am meisten?
Tukur: Ich bin ein ganz großer Fan von Cole Porter. Er war Komponist und Autor in Personalunion, wie auch Irving Berlin. Porters Texte sind geistreich, witzig und frech. In seinen Songs überrascht er mit musikalischen Hakenschlägen, die man bei keinem anderen Komponisten findet. Peter Kreuder und Theo Mackeben finde ich auch großartig.
Versuchen Sie heute noch, diese Epoche wachzuhalten?
Tukur: Ich sehe mich als eine Art Brückenglied. Das, was ich noch kennenlernen durfte und was in mir brennt, will ich beschützen und weitertragen. Was wären wir alle, vor allem wir Künstler, ohne die Menschen, die vor uns da waren? Die um sich greifende Geschichtslosigkeit ist fatal, denn sie beraubt uns unserer Wurzeln, unserer Tiefe, und wer sie verliert, findet keinen Halt mehr in einer Welt, die sich permanent verändert.
Für Martin Scorseses Film „The Irishman“ wurden Stars wie Robert de Niro und Joe Pesci in vielen Szenen digital verjüngt. Wie denken Sie über solche technischen Tricks?
Tukur: Ich finde das zum Kotzen. Es bedeutet ja, dass man uns gar nicht mehr braucht, wenn wir einmal vollkommen gescannt sind. Dann lässt sich alles künstlich neu zusammenbauen. Darum ging es ja auch bei dem Aufstand der Schauspieler in Hollywood. Ich, der ich gründlich digital erfasst wurde, säße dann zuhause und würde dafür bezahlt, oder auch nicht, dass meine animierten Daten irgendwo herumlichtern.
Aber wer in dieser neuen, künstlichen Welt groß wird, wird mit der eigentlichen Wirklichkeit nichts mehr anzufangen wissen. Schon Zeichentrickfilme generieren ja überzeugende Figuren, die den Menschen berühren. Das wird mit animierten Schauspielern, Avataren und Robotern genauso funktionieren. Da gibt es eine Spezies, die Technologien entwickelt, die sie am Ende selbst abschaffen. Intelligenz schließt abgrundtiefe Dummheit nicht aus. Eigentlich ist das alles zum Lachen, wenn es nicht so todtraurig wäre.
Ist es für Sie faszinierender, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, als mit Orakeln in die Zukunft zu blicken?
Tukur: Ich weiß ja nicht, was mir die Zukunft bringt. Es wird mit Sicherheit noch viel radikaler sein, als ich es mir vorstellen kann. Mich interessieren keine Maschinen, mich interessieren Menschen. Inwiefern haben sie in ihrer Zeit bestanden, Gutes getan, Großes geleistet oder Fehler gemacht. Wie sind sie mit ihrem Leben und all den Schwierigkeiten ihrer Existenz umgegangen. Das gibt mir Orientierung und Halt.
Viele Menschen kommen nicht mehr so richtig klar mit dem Hier und Jetzt. Wollen Sie mit Ihrem nostalgisch anmutenden Bühnenprogramm die Realität verlangsamen?
Tukur: Diese Scheißzeit, die den meisten von uns zusetzt, ist ja eigentlich unsere große Chance. Da gibt es nur eine Rettung: die Rhythmus Boys! Wir schaffen den Raum, in dem Poesie, Witz, Melancholie, Blödelei, Eleganz und Rock ‘n Roll zuhause sind. Wir nehmen nur unsere Musik ernst, uns selbst aber nicht.