Pandemiebedingt hat die Schuldnerberatung in Würzburg mehr als sonst zu tun
Leo M. (Name geändert) hat nie Geld auf die hohe Kante legen können. 1.900 Euro bekommt der Handwerker aus dem Kreis Würzburg monatlich netto heraus. „Seine Frau hatte einen Nebenjob in der Gastronomie, den hat sie jedoch durch Corona verloren“, sagt Robert Morfeld, stellvertretender Leiter der Schuldner- und Insolvenzberatung der Würzburger Christophorus-Gesellschaft. Leo M. ist seit Monaten in Kurzarbeit. Das Geld wird immer knapper. Inzwischen kann er seinen Autokredit nicht mehr bedienen – an die Schuldnerberatung in Würzburg wollte er sich dennoch nicht gleich wenden.
Leo M. zerbrach sich in den letzten Monaten den Kopf, was er tun könnte, um seine Finanzen wieder in den Griff zu bekommen. Die Situation war für ihn völlig neu. Und darum überfordernd. Nie hätte es der zweifache Vater für möglich gehalten, dass ihm so etwas einmal passieren könnte. Schulden, dachte er immer, betrifft andere. Nicht ihn. „Unser Klient hat zunächst versucht, den Gürtel enger zu schnallen“, schildert Robert Morfeld. Doch die Einsparmöglichkeiten waren rasch ausgereizt. Im Herbst, als der 36-Jährige gar nicht mehr weiter wusste, wandte er sich an die Schuldner- und Insolvenzberatung der Christophorus-Gesellschaft.
Die Existenz der Klienten sichern
Robert Morfeld konnte Leo M.s Ausgaben noch ein klein wenig minimieren, wobei dies nicht seine Hauptaufgabe war und ist. „Uns geht es in erster Linie darum, die Existenz der Klienten zu sichern“, erläutert er. Außerdem sollen in der Schuldnerberatung Perspektiven aufgezeigt werden. Gerade Letzteres ist in der Pandemie unglaublich schwer. Niemand kann sagen, wann Leo M. wieder voll wird arbeiten können. Keiner weiß, ob die Gaststätten in nächster Zeit geöffnet werden. Und selbst, wenn dem so wäre, sagt Morfeld: „Möglicherweise muss das Lokal, in dem Leo M.s Frau tätig war, für immer schließen.“
Robert Morfeld kennt durch seine Arbeit für die Schuldnerberatung in Würzburg Menschen, die schon mal in der JVA waren oder längere Zeit auf der Straße lebten. Er bekommt von schlimmen Erkrankungen und schwierigen Trennungsfällen mit. Zu jenen Menschen in Ausnahmesituationen, die seit jeher in der Schuldnerberatung auftauchen, gesellen sich nun Leute wie Leo M., die, weil immer alles ganz gut lief, bisher keine Klienten der Schuldnerberatung waren. Deren Zahl steigt drastisch, sagt Morfelds Kollege Stephan Hohnerlein. Insgesamt schnellen dadurch die Fallzahlen in die Höhe. Aktuell beraten die sechs Schuldenexperten der Christophorus-Gesellschaft 1.430 Klienten – 300 mehr als letztes Jahr um diese Zeit.
„Die Schuldnerquote ist seit Jahren hoch“
Die Würzburger Non-Profit-Organisation kommt alles in allem zu völlig anderen Ergebnissen als der kürzlich vorgestellte „Schuldneratlas 2020“. Dem zufolge sinkt die Zahl der überschuldeten Verbraucher. Das klingt beruhigend. Doch für Beruhigung sieht Robert Morfeld keinerlei Anlass: „Die Schuldnerquote ist seit Jahren hoch.“ Bei jedem zehnten Menschen übersteigen die Ausgaben die Einnahmen. Bei der Schuldner- und Insolvenzberatung der Christophorus-Gesellschaft führt die anhaltend hohe und derzeit wachsende Zahl der Klienten dazu, dass die Wartezeiten auf einen Beratungstermin nach dem Erstkontakt bis zu acht Wochen betragen.
Es ist im Interesse der Allgemeinheit, dass den Betroffenen schnell und vor allen Dingen ganzheitlich geholfen wird, betont Robert Morfeld. Geschieht dies nicht, kann Überschuldung drastische Konsequenzen nach sich ziehen. Nicht selten verlieren Menschen in Schulden, die ohne Hilfe bleiben, ihre Wohnung. Stromsperren drohen. Aber auch psychische Erkrankungen bis hin zur Suizidalität können die Folge sein. Robert Morfeld ist aus diesem Grund froh, dass neue Regelungen in Bayern für eine auskömmliche Finanzierung der sozialpädagogisch ausgerichteten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen im Freistaat sorgen.
Fast keiner ist „selbst schuld“
Schwierig bleibt das Vorurteil von Otto Normalverbraucher gegenüber Menschen, die in Schulden geraten sind. „Es heißt immer noch, die Betreffenden seien doch selbst schuld an ihrer Misere“, weiß Morfeld. Doch dem ist in fast keinem Fall so. Leo M. zum Beispiel blieb nichts anderes übrig, als sich ein Auto auf Kredit zu kaufen. Er braucht den Wagen, um zur Arbeit zu kommen. Dort, wo er wohnt, ist die ÖPNV-Anbindung so schlecht, dass er nicht mit dem Bus zur Werkstatt, wo er tätig ist, fahren könnte. „Was er sich anschaffte, ist ein ganz normales Auto, also keineswegs eine Luxuskarosse“, berichtet sein Schuldnerberater.
Viele Menschen werden wohl in nächster Zeit in Schulden hineinschlittern, sind Robert Morfeld und Stephan Hohnerlein überzeugt. Was die Frage aufwirft: Wie soll man in den kommenden Monaten umgehen mit einem weiteren Zuwachs an Klientinnen und Klienten? Sollte man in nächster Zeit eher straff beraten, so dass mehr Betroffene die Chance haben, zeitnah Hilfe zu erhalten?
Doch dem Team geht es nicht darum, möglichst effizient sein Pensum zu erfüllen. Von daher wurde anders entschieden, berichtet Stephan Hohnerlein: „Wir werden gerade auch in der Pandemie intensiv und ganzheitlich beraten, denn wir möchten keine Abstriche an unserer Qualität machen.“ Zeigte sich doch in den vergangenen Jahren, wie wichtig es ist, nicht nur das finanzielle Desaster zu bewältigen. Von mindestens so großer Bedeutung ist es, die Betroffenen, die oft in einer verzweifelten Lage sind, seelisch aufzubauen. Ihnen Mut zu machen. Und Hoffnung zu geben.
Text: Nadia Fiedler