Ist die Kaiserstraße noch zu retten?

Mit einer Investition von 5,4 Millionen Euro sollte die Achse Bahnhof – Barbarossaplatz aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden. Geklappt hat das nicht: Viele Läden in der Kaiserstraße in Würzburg stehen leer, die Aufenthaltsqualität ist mangelhaft. Woran das liegt und was jetzt zu tun ist.

Die Kaiserstraße in Würzburg! Das war mal eine tolle Adresse. Wer sich vom Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt begab, der bummelte an vielen interessanten Fachgeschäften vorbei: Das Modehaus Kasper, Blusen Wohner, Photo Porst, das Musikhaus Wittstatt, Wolle Rödel, der Spielwarenhändler Obletter. Abends sorgten das Tanzcafe Ludwig und nicht zuletzt das Corso Kino Center für Leben. Nur ist das halt schon ein paar Jahre her – Kino und Fachgeschäfte schlossen, Schuhläden, Backshops, Schnickschnack-Boutiquen und Dönerläden kamen. Mit den Jahren dämmerte die Kaiserstraße in einen Dornröschenschlaf hinein.

Aus dem sollte sie 2008 wachgeküsst werden: Ein Ideenwettbewerb musste her, an dem sich sieben Würzburger Architekturbüros beteiligten. Ziel war eine neue Oberflächengestaltung, eine geordnete Straßenmöblierung sowie ein neues Beleuchtungskonzept. Der erste Preis ging an das Architekturbüro Kaiser + Juritza. Vom Sommer 2014 bis Frühling 2018 wurde die Kaiserstraße umgebaut. Am 23. April 2018 wurde die „neue Kaiserstraße“ mit einem großen Fest eingeweiht.

Die Kosten von rund zwei Millionen Euro für die Umgestaltung trugen zur Hälfte die Anlieger, 600.000 Euro kamen vom Freistaat Bayern und 400.000 Euro zahlte die Stadt Würzburg. Insgesamt schlug die Sanierung der Straße mit 5,4 Millionen Euro zu Buche.

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Foto Walter Heer

Fünf Jahre später drängen sich zwei Erkenntnisse auf. Erstens: Es ist schon erstaunlich, wie unauffällig man fünfeinhalb Millionen verbauen kann. Zweitens: Die Wiederbelebung der Kaiserstraße scheint fehlgeschlagen. Zu bummeln gibt es nicht viel; Passanten ziehen an Optikern, Telefonläden, Boutiquen im unteren Preissegment und an leeren Schaufenstern vorbei. Abends macht sich obendrein die Nähe zu den sozialen Brennpunkten Bahnhofsvorplatz und Barbarossaplatz bemerkbar. Urbanes Nachtleben findet hier schon lange nicht mehr statt.

Woran die Kaiserstraße krankt, was gegen die Tristesse getan werden kann, und wie es dem Würzburger Einzelhandel im Allgemeinen geht: wob hat Wolfgang Weier, den Geschäftsführer des Stadtmarketings „Würzburg macht Spaß“ gefragt.

wob: Eine attraktive Fußgängerzone, die zum Schlendern einlädt: Das war das Ziel der Kaiserstraßen-Sanierung. Stattdessen: wechselnde Boutiquen, Imbissläden und leerstehende Geschäfte (aktueller Stand: 8) prägen das Straßenbild. Ist die Modernisierung gescheitert?

Wolfgang Weier (WümS): Die Modernisierung als solche sicherlich nicht. Ich kann mich gut erinnern, wie stolz wir als von der Stadt Würzburg in der Zeit von 2013 bis 2018 beauftragtes Quartiersmanagement für die Kaiserstraße waren, dass wir während der Bauphase so gut wie keine Unternehmensaufgaben zu verzeichnen hatten. Nach dem Einweihungsfest war die Kaiserstraße als Tor zur Innenstadt eine ansehnlich sanierte Achse vom Bahnhof in die City. Schwierig wurde es erst nach Abschluss der Baumaßnahmen – aus verschiedenen Gründen, die in rascher Reihenfolge aufeinander kamen: Zum einen ging 2018 und 2019 schließlich doch dem einen oder anderen Unternehmen die Puste aus, weil die Umsatzeinbußen bei einer insgesamt fast fünfjährigen und schwierigen Baustellenzeit nicht tragbar waren.

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Es erwies sich in dieser Zeit auch, dass in der Kaiserstraße zwar eine hohe Passantenfrequenz mit bis zu 8.000 Personen pro Stunde herrscht, die jedoch mit zu hoher Geschwindigkeit durcheilen. Das liegt auch daran, dass die schnurgerade verlaufende Kaiserstraße zu wenige Stellen aufweist, wo der Passantenstrom verlangsamt wird – etwa durch Straßenmöblierung, Außengastronomie, Pflanzkübel oder Spielpunkte.

Man darf jedoch nicht außer acht lassen, dass in der relativ engen Straße, in der auch noch die Straßenbahn verkehrt, viele Ideen städtebaulich gar nicht möglich sind. Ich denke, von Seiten der Stadtplanung hätte man nicht viel anders machen können.

Und dann kamen die Corona-Pandemie mit allen ihren Aus- und Nachwirkungen, der Ukraine-Krieg, Inflation und Rezession hinzu. All dies hat vor allem einige in der Kaiserstraße ansässigen und schon seit 2020/21 angeschlagenen Filialisten getroffen. In den meisten der derzeit leerstehenden oder inzwischen wieder neu besetzten Geschäftsflächen waren insolvente, geschrumpfte oder sich in einer Restrukturierung befindliche Ketten ansässig.

Der stationäre Einzelhandel trumpft mit einem Service und einem Einkaufserlebnis auf, dass der Onlinehändler nicht bieten kann. Trotzdem kaufen die Leute immer mehr im Internet ein. Steht die Entwicklung in der Kaiserstraße beispielhaft für diesen Wandel?

Weier: Zwar ist es richtig, dass der Anteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandelsumsatz von ca. 11,5 Prozent vor der Pandemie auf inzwischen 14,5 Prozent gestiegen ist und sich diese Entwicklung weiterhin fortsetzen wird. Die Steigerungskurve des Onlinehandels verläuft allerdings inzwischen etwas flacher, und es gibt Anzeichen, dass sich die Leute durchaus auf die Stärken des stationären Einzelhandels – Haptik, Beratung, Service, Einkaufserlebnis usw. – besinnen. Hier muss der Handel weiterhin an sich arbeiten und genau diese Stärken in den Vordergrund stellen.

Zudem ist es für Händler unerlässlich, digital sichtbar zu sein und online gefunden zu werden. Fitte Unternehmer haben die Zeit während der Lockdowns genutzt, Omnichannel-Strategien entwickelt und sich digital neu aufgestellt. Für alle, die ihre digitalen Hausaufgaben immer noch nicht erledigt haben, gilt – leider: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!“ Diesen Prozess erleben wir gerade – bei großen wie auch kleinen Unternehmen, häufig unvermittelt und meist schneller als erwartet. Denn der nächste Trend – „Unified Commerce“, in dem alle Stufen der Custumer Journey nahtlos miteinander vernetzt werden – klopft K.I.-unterstützt schon an die Tür.

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Foto Ralf Thees

Die Kaiserstraße hatte einst nicht nur attraktive Fachgeschäfte zu bieten; nach Geschäftsschluss sorgten Gaststätten und nicht zuletzt das Corso-Kino für Leben. Heute scheint die Straße eher als Verbindung zweier Brennpunkte, dem Bahnhofsvorplatz und der Kaiserstraße, zu dienen. Was muss hier Ihrer Ansicht nach getan werden?

Weier: Hier teilt die Kaiserstraße in Würzburg leider das Schicksal vieler Straßen in Großstädten, die den Bahnhof mit der Innenstadt verbinden, und ist archetypisches Beispiel für einen sogenannten „Trading-Down-Prozess“. Geschäfte mit hochwertigem Sortiment weichen günstigeren, aus Cafés und Restaurants werden Fastfood-Lokale und Imbissbuden. In der Regel zieht sich dies über Jahrzehnte hin, beginnt erst schleichend und beschleunigt sich dann. Irgendwann wird es dann auffällig, wie aktuell in der Kaiserstraße – für Vermieter finanziell spürbar durch sinkende Mietpreise.

Ein Trading-Down ist nur schwer umkehrbar, kann aber zumindest relativ leicht aufgehalten werden: z.B. durch erhöhte Präsenz von Polizei und Ordnungsamt, einen besonderen Fokus auf saubere Straßen und gepflegte Gebäudefassaden, Begrünung (auch von privater Seite), großzügige Genehmigung von Außensitzen in der Gastronomie, attraktive Straßenmöblierung usw. Die angekündigte Kameraüberwachung am Barbarossaplatz halte ich für eine brauchbare erste Maßnahme.

Hätte ein bisschen mehr Grün, der eine oder andere Baum der Straße nicht gutgetan anstelle der Palmen?

Weier: Sicherlich. Jedoch sind hochwachsende Bäume aufgrund der Straßenbahnoberleitungen nicht möglich. Man wird also immer auf Pflanzkübel oder ähnliches angewiesen sein. Die Palmen wurden meines Wissens gewählt, weil sie relativ pflegeleicht sind, erwiesen sich jedoch als kümmerlich und wenig attraktiv. Etwas mehr Opulenz hätte die Kaiserstraße als ehemalige Prachtstraße da schon verdient. Immerhin gibt es Signale seitens mancher Hausbesitzer und Unternehmer, z.B. eine Patenschaft für Pflanzen vor ihrem jeweiligen Haus zu übernehmen.

Zuletzt: Wie geht es dem Würzburger Einzelhandel im Vergleich zu anderen mittelgroßen Städten?

Weier: Im Vergleich zu anderen mittelgroßen Städten steht Würzburg noch absolut top da. Man muss da nicht mal in die neuen Bundesländer oder in den Ruhrpott schauen – auch im näheren Umkreis gibt es Städte mit einem Vielfachen an Leerstand. Auch die Anzahl der Innenstadtbesucher passt und übersteigt an manchen Tagen das Vor-Corona-Niveau – durchschnittlich bewegt sich Würzburg ca. 10 Prozent unter den Zahlen von 2019.

Jedoch kommt bei gestiegenen Kosten derzeit weniger Geld in den Kassen der Händler und Gastronomen an – schließlich spüren auch die Bürger die Auswirkungen von Rezession und Inflation und das Portemonnaie sitzt nicht mehr so locker. Manche innerstädtische Unternehmer berichten von Umsatzrückgängen von 10 Prozent, 15 Prozent oder mehr – und das bereitet mir schon Sorgen.

Es kommen große Aufgaben auf alle Beteiligten zu: die Unternehmen müssen digital am Ball bleiben, zugleich tollen Service bieten und Erlebnisse schaffen. Als Stadtmarketing müssen wir weiterhin mit kreativen Aktionen und Events Besucher in die Stadt locken und versuchen, deren Kaufkraft hier zu binden. Aber auch die Stadt ist gefragt: Sie muss mit der Stadtplanung und -gestaltung für ein attraktives Umfeld sorgen, die Unternehmer durch Bürokratieabbau und schnelle, einfache Genehmigungsverfahren unterstützen und v.a. die rasche und einfache Erreichbarkeit der City mit allen Verkehrsmitteln sicherstellen – zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem ÖPNV wie auch nach wie vor mit dem Auto.

Stichpunkt: Wolfgang Weier

Weier (Jahrgang 1972) ist seit zehn Jahren, also seit 2013 Geschäftsführer des Stadtmarketing „Würzburg macht Spaß“ und damit auch Veranstalter und Hauptverantwortlicher für das „Stadtfest Würzburg“. Seine Schwerpunktthemen sind die Zukunft der Innenstädte, Themen rund um deren Digitalisierung („Digital City“) sowie die kleinen, inhabergeführten Geschäfte und Lokale, die deren besonderen Charme ausmachen.

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Foto Jana Kempkes

Weier hat sich schon 1994 neben seinem Studium der Soziologie, politischen Wissenschaften und Religionsgeschichte als Veranstalter des Würzburger HipHop-Events „Osterjam“ selbständig gemacht. Nach dem Abschluss war er Pressesprecher für die ARGO Konzerte GmbH (u.a. „Rock im Park“) sowie Pressesprecher und Veranstaltungsleiter der Mikado Services GmbH.

In den Jahren darauf war er in verschiedenen Funktionen an der Berliner Loveparade oder der Honky Tonk-Eventreihe beteiligt, veranstaltete hunderte Konzerte in den Musikrichtungen Pop, Rock und HipHop und unterhielt nebenher eine Agentur für PR-Beratung. Für verschiedene Clubs und Diskotheken, darunter das „airport Würzburg“, war er als Geschäftsführer und Abendbetriebsleiter (2000-2013), aber auch als Diskjockey (1992-2012) tätig.

Von 1994 bis 2014 betätigte Weier sich journalistisch, u.a. als Redakteur der Stadtillustrierten Schmidt, freier Mitarbeiter beim Szenemagazin Z, Herausgeber des „UNImagazins“ und freier Mitarbeiter bei Boulevard Würzburg. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Stadtmarketing-Geschäftsführer ist er Herausgeber des Würzburger Einkaufführers.

Eine Antwort auf “Ist die Kaiserstraße noch zu retten?

  1. Vielen Dank, dass Sie sich der Problematik der Kaiserstraße annehmen, vielleicht rüttelt es den einen oder anderen auf und es wird dadurch etwas zum guten gewendet!

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